© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/04 02. Januar 2004

PRO&CONTRA
Schwitzen statt sitzen?
Hans-Jürgen Kerner / Tilman Schwarz

Bei der von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) angekündigten Reform des Sanktionenrechts sollen Straftäter mehr als bisher ihre Straf-Schuld durch Arbeit zum Nutzen der Gemeinschaft tilgen können. Das Grundgesetz erlaubt bei Freiheitsstrafe noch heute ganz wörtlich sogar "Zwangsarbeit". Das Schlagwort "Schwitzen statt sitzen" meint die im Strafrecht bekannte Sanktion der "Gemeinnützigen Arbeit" (GA).

Mehr als 80 Prozent aller als Erwachsene Verurteilten erhalten Geldstrafen. Werden diese ohne zwingende Gründe nicht (voll) bezahlt, muß man ins Gefängnis. Die Parole heißt "Sitzen statt zahlen". Kurze Haft gilt als ungünstig. Daher dürfen die Bundesländer schon lange spezielle Programme einrichten, in denen Täter die "uneinbringlichen" Geldstrafen zur Vermeidung der "Ersatzfreiheitsstrafen" abarbeiten dürfen.

Staatsanwaltschaft oder Gericht können GA aber auch als Auflage bei Verfahrenseinstellungen einsetzen. Bei Bewährungsstrafen anstelle unbedingter Freiheitsstrafen können die Täter GA zum Unrechtsausgleich erhalten. Vergleichbares gilt bei der vorzeitigen Haftentlassung ungefährlicher Gefangener. Jugendliche können vom Jugendrichter zu Arbeitsweisungen oder Arbeits-auflagen verurteilt werden.

Der Grundgedanke, Arbeitseinsätze noch mehr als bisher zur Vermeidung kurzer Freiheitsstrafen einzusetzen, steht in der Tradition vieler anderer Staaten, wie Großbritannien, Frankreich, der Schweiz und der Niederlande. Die Idee hat sich bewährt. Schäden für die Innere Sicherheit sind nicht bekannt geworden. Details müssen gegebenenfalls weiter diskutiert werden. Der Abbau der Gefängnisüberfüllung wäre ein kriminalpolitisch und ökonomisch sinnvoller Nebeneffekt.

 

Prof. Dr. Hans-Jürgen Kerner ist Präsident des DBH-Fachverbandes für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik, der bundesweit und international aktiv ist.

 

 

Es handelt sich hierbei um ein Gesetzesvorhaben, das schon längere Zeit diskutiert wird und das gewisse Sanktionen ersetzen soll, die zur Zeit im Wege der Freiheitsstrafe ausgebracht werden. Diese Sanktionen sollen - ganz untechnisch ausgedrückt - in eine Arbeits-auflage umgewandelt werden. Das kann durchaus sinnvoll sein, weil man sich sagt, es sei besser, daß Straftäter etwas Sinnvolles tun, anstatt im Gefängnis herumzusitzen und überfüllte Gefängnisse noch weiter zu füllen. Dies muß aber in jedem Einzelfall richtig geprüft werden.

Man kann nicht pauschal sagen, daß alle Straftäter mit Freiheitsstrafen von weniger als ein oder zwei Jahren in den Genuß von "Schwitzen statt sitzen" kommen können. Das muß tatsächlich täterbezogen ausgelotet werden, und es müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen. Es darf nicht so sein, daß sich der Straftäter die Arbeitsauflage "billig erkaufen" kann. Das bedeutet, daß man nicht einfach einen Tagessatz oder einen Tag im Gefängnis mit drei Stunden Arbeit als abgegolten bezeichnen kann.

Man muß dabei vor allem darauf hinweisen, daß die Einführung einer solchen Sanktion für Straftäter zu einem Mehraufwand bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften führt. Man kann zwar so die Gefängnisse und das Vollzugspersonal entlasten, aber man muß wissen, daß die zusätzliche Überwachung zu einem Mehraufwand führt. Es muß doch gerichtlich nachgewiesen werden, ob jemand seine ihm zugeteilte Arbeit auch wirklich verrichtet hat. Wenn der Verurteilte dort nicht erschienen ist, müssen Konsequenzen folgen, die eigentlich nur heißen können, ihn dazu doch in die Justizvollzugsanstalt zu schicken. Der Justizaufwand für solche Pläne dürfte ein recht beträchtlicher sein. Daher sollte man sich fragen, ob die im Ansatz gut gedachte Sache mit einem vernünftigen Aufwand zu bewältigen ist.

 

Tilman Schwarz ist Vorsitzender des Richterbundes des Landes Sachsen-Anhalt und Vizepräsident des Landgerichts Halle.


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