© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/04 02. Januar 2004

Doppelt so derb
Kino: "Unzertrennlich" der Farrelly-Brüder balanciert an der Geschmacksgrenze
Werner Olles 

Die beiden Brüder Bob (Matt Damon) und Walt Tenor (Greg Kinnair) sind glückliche Besitzer einer gutgehenden Hamburger- Kneipe irgendwo in einem kleinen Kaff im Nordosten der USA. Eigentlich läuft in ihrem Leben alles ganz normal, wenn da nicht die Tatsache wäre, daß sie als siamesische Zwillinge auf die Welt kamen. Aber im Laufe der Zeit haben sich die beiden offenbar an ihren seltsamen Zustand gewöhnt und ihre Freunde und Gäste ebenfalls. Das einzige Problem ist, daß Walt liebend gern Schauspieler werden möchte, während der bodenständigere Bob mit dem Brutzeln von Hamburgern ganz zufrieden ist. Aber schließlich gibt er doch nach, und so geht es endlich ab nach Los Angeles, wo Walt in Hollywood seinen Traum wahrzumachen gedenkt. Tatsächlich gelingt es seinem windigen Agenten (Seymour Cassel), ihn in einer Fernsehserie an der Seite des bekannten Filmstars Cher unterzubringen, während Bob endlich seine langjährige Brieffreundin May persönlich kennen- und lieben lernt. 

Die wundert sich zwar zunächst ein wenig, daß der Bruder bei ihren Rendezvous immer an Bobs Seite ist, aber als dieser den Mut faßt, ihr die traurige Wahrheit zu gestehen, läuft sie schokkiert weg. Walt hat indessen in der Gunst des Publikums seine Filmpartnerin Cher längst ausgestochen, aber nach seinem und Bobs Auftritt in der berühmten Jay-Leno-Talkshow stellt sich dann erneut die Frage nach einer operativen Trennung der beiden, die Bob bisher immer abgelehnt hatte ... Filme über Behinderte sind längst kein Tabu mehr. Selbst Komödien darf man heute über dieses Thema drehen, ohne mit der politischen Korrektheit in Konflikt zu geraten. Wenn allerdings die Regie-Brüder Bobby und Peter Farrelly ("Dumm und dümmer", "Verrückt nach Mary", "Schwer verliebt") sich dieser Thematik annehmen, muß man sich als Zuschauer auf einige Derbheiten und Geschmacklosigkeiten gefaßt machen - und ist dann letztlich ziemlich angenehm überrascht, daß sich der schwarze Humor speziell amerikanischer Machart doch einigermaßen in Grenzen hält. Natürlich geht es nicht ganz ohne den üblichen Brachial-Klamauk und die Brechstangen-Gags der Marke Farrelly, aber von der wilden Farce, der Slapstick- Comedy bis zur romantischen Salon- und Musical-Comedy wird immerhin das ganze Spektrum der Komödie ausgemessen. "Unzertrennlich" spielt lustvoll mit dem bürgerlichen Vorurteil, das allein ein makelloses, perfektes 

Äußeres und strotzende Gesundheit mit moralischer Solidität und Vollkommenheit identifizieren möchte, eine Gleichsetzung, die die Farrellys inhaltlich wie formal mit großem Vergnügen depravieren. So wird beispielsweise hinter der schimmernden Schönheit des Hollywood-Stars Cher moralische Verwirrung und tiefe Verzweiflung sichtbar, als das Publikum Walt zu seinem Liebling kürt. Genüßlich nehmen die Farrellys den Star- Rummel auf die Schippe, und das Zeremoniell offizieller Empfänge wie auch das Show-Geschäft mit seinen gesellschaftlichen Albernheiten sind Zielscheiben ihrer ironischen Sticheleien. Man könnte "Unzertrennlich" wohlwollend als spezifisch amerikanische Sozialkomödie bezeichnen, mit sarkastischem Witz, rüder Zärtlichkeit und tiefer Zuneigung zu den beiden Hauptfiguren Bob und Walt. 

Matt Damon und Greg Kinnair spielen das buchstäblich aneinandergekettete Zwillingspaar auf jene unsentimentale, aber durchaus nicht unsensible Weise, die in der langen amerikanischen Tradition nicht nur der Filmkomödie, sondern auch des Boulevard-Theaters und der Broadway- Komödie steht. Durch ihre Art der Annäherung an die Realität, in der die bewußte Unabsichtlichkeit der Handlung immer wieder von der herkömmlichen Comedy- Dramaturgie wegführt und durch den herben Charme des scheinbar Zufälligen ihre Wirkung erzielt, Wiedererkennen hervorruft und so Identifikation schafft, wird noch aus dem plumpsten Klamauk eine Atmosphäre heiterer Melancholie. Wenn also die Farrellys auch hier wieder nicht voll und ganz von ihren drastisch-derben Späßen und oberflächlichen Gags lassen können, und die "positive Lebenseinstellung" Behinderter oft ziemlich aufgesetzt und verlogen wirkt, so machen die beiden überzeugenden Hauptdarsteller doch manche genretypischen Späße unterhalb der Gürtellinie wieder gut und präsentieren eine romantische Komödie an der Geschmacksgrenze.     

Fotos: Bob (Matt Damon) und Walt (Greg Kinnear): Rüde Zärtlichkeit


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