© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/04 02. Januar 2004

Meldungen

Neue Aufgaben für Mafiagestalten

PINNEBERG. Über 90 Prozent seiner Studenten sehen ihre Zukunft in düstersten Farben. Unter den Schreckenszahlen, die der Kaliningrader Germanist Wladimir Gilmanov den Zuhörern präsentierte, die auf dem Treffen der Kreisgemeinschaft Fischhausen (Samland) seinem Festvortrag zur Lage ihrer alten Heimatregion lauschten, war das aber nicht einmal die schlimmste (Samländischer Heimatbrief, Folge 160/03). Die europäische Enklave mit einer knappen Million Einwohner sei auch nach Jahren der "Ordnungspolitik" Putins weiterhin ein "schwarzes Loch", das von "korrupten Lokalfürsten und postsowjetischen Mafiagestalten" beherrscht werde. Die organisierte Kriminalität kontrolliere 60 Prozent der staatlichen Institutionen und 89 Prozent der Banken sowie die meisten Privatunternehmen. 40 Prozent der Einwohner leben unter dem Existenzminimum, die Hälfte der Bevölkerung sei arbeitslos. Trotzdem glaubt Gilmanov erste Anzeichen für das Ende des sozial-ökonomischen Desasters ausmachen zu können, da das Bruttosozialprodukt, die Industrieproduktion und das Investitionsvolumen seit 2002 ansteige. Das reiche aber nicht, um die wirtschaftliche wie kulturelle Anziehungskraft im Umfeld der europäischen Integrationsdynamik zu verbessern. Die regionalen Machthaber hätten mit ihrem geschichtspolitischen Starrsinn, der sich für 2005 auf eine absurde Feier "750 Jahre Kaliningrad" fixiert, eher den Weg in die geistige Isolation angetreten. Sehr utopisch wirkt daher Gilmanovs Rezept, derartig militantem Eifer "sowjetisch" denkender Eliten eine "internationale Universität" entgegenzusetzen, die das alte Königsberg zum "Laboratorium einer neuen Aufklärung im europäischen Raum" umgestalten solle.

 

Gedenken statt Geschichtspolitik

BERLIN. Der emeritierte Darmstädter Philosoph Helmut Fleischer spricht sich im Zusammenhang einer Erinnerung an die Vertreibung aus Ostdeutschland für ein "Haus des Gedenkens an die Vertreibungen" in der deutschen Hauptstadt aus, das im Gegensatz zu einem Zentrum gegen Vertreibungen nicht den "Aktionscharakter" habe, der das gesamte Projekt "in die Sphäre der Geschichtspolitik" bringe. Nur diese Art einer "authentisch historisch aufgeklärten und human anteilnehmenden Erinnerungskultur" bewege sich "jenseits der Antagonistik vergangener Geschichten", betonte der Sozialphilologe gegenüber der jungen freiheit. Die Befolgung dieser Maxime würde eine Debatte um den Standort eines Zentrums gegen Vertreibung überflüssig machen, da eine pragmatische Absicht gegen das Phänomen Vertreibung ortsunabhängig wäre.

 

NS-Zwangsarbeiter in Frankreich gehen leer aus

PARIS. Deutschland muß keine Entschädigungen an frühere französische NS-Zwangsarbeiter zahlen. Das hat das oberste Revisionsgericht in Paris entschieden. Deutschland genieße Immunität in dieser Frage, hieß es in dem Urteil vom 18. Dezember und bestätigte damit die Entscheidung eines Pariser Berufungsgerichts vom November 2002. Damals hatte das Arbeitsgericht Fontainebleau Deutschland verurteilt, an den heute 78 Jahre alten Roland Bucheron eine Entschädigung in Höhe von 76.000 Euro sowie 15.244 Euro vorenthaltenen Lohn (einschließlich Zinsen) zu zahlen.

 

Erste Sätze

Es würde schwer sein, inmitten einer größeren Stadt ein besser gelegenes Haus zu finden, als das war, in welchem ich geboren wurde und die ersten Tage der Kindheit verlebte.

Malwida von Meysenburg: Memoiren einer Idealistin, Volksausgabe, Berlin-Leipzig 1905


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