© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/04 16. Januar 2004

Wir brauchen Vorbilder
Ehrenkodex und Leistungswille statt Privilegien: Zur Schein-Diskussion über neue Eliten
Günter Zehm

Der von der Regierung Schröder ins öffentliche Netz eingespeiste Ruf nach "Elite-Universitäten" ist durch und durch verlogen, ein Produkt vordergründigen politischen Tageskalküls. Da man selber nichts zu bieten hat als Konfusion und leere Kassen, wirft man den Medien einen Knochen hin, an dem sie nagen können, ohne daß es für die Regierung gefährlich wird. Die nun wieder hektisch hin und her gewendete Frage "Brauchen wir Eliten?" ist rein akademisch, denn Eliten hat es immer gegeben und wird es immer geben, es geht einzig darum, von welcher Qualität die jeweilige Elite ist, von woher sie sich rekrutiert und was sie zu leisten imstande ist.

Herrschaft (und zwar jede Form von Herrschaft), wußte schon der große Eliteforscher Vilfredo Pareto vor hundert Jahren, bedingt Elitebildung. Wer "oben" ist und Entscheidungen mit weitreichenden Folgen fällen darf, beansprucht für sich und seine Mit-Exekutoren automatisch Elitestatus: mediale Herausgehobenheit, soziale Privilegierung, Korpsgeist und Benimm- bzw. Ehrenkodex. Für gute, "junge" (Pareto) Eliten ist der Ehrenkodex wichtiger als die Privilegien, ihr Begriff von Elite meint in erster Linie, daß deren Mitglieder sich dauernd persönlich am Riemen reißen und sich unter Leistungsdruck stellen. Sie wollen ausdrücklich Vorbild und Leitbild sein. "Ich dien", lautete jahrhundertelang die Hauptparole des europäischen Adels, eingeprägt auf Orden, Koppelschlössern und Gedenkmünzen.

Heute, bei den politischen und wirtschaftlichen Eliten der BRD, geht es genau andersherum. Gut in Erinnerung ist noch der Skandal um die Freiflüge, die viele Berliner Parlamentarier illegal in Anspruch nahmen, bis die Sache endlich aufflog. Die Rechtfertigungsphrase der Politiker war damals: "Warum sollen wir uns anders verhalten als die Masse der Bevölkerung?" Auf den Gedanken, daß man sich an ihnen ein Vorbild nehmen sollte, kommen sie gar nicht mehr. Während sie dem Volk eine Einsparung nach der anderen zumuten, sind sie gleichzeitig eifrig damit beschäftigt, ihre eigenen Bezüge ins Astronomische zu erhöhen. Von schlechtem Gewissen keine Spur.

Die natürliche Form von Eliteherrschaft, die Aristokratie, hat sich bei uns längst in ihre Karikatur und Verfallsform, nämlich in die Oligarchie, verwandelt, wo es nur noch um die Wahrnehmung von Gruppeninteressen und um das "Ausschöpfen von Möglichkeiten" geht. Zumindest in der Politik und in der großen Wirtschaft, bei Banken und Konzernen, ist das so. In der Wissenschaft, an den Universitäten und Forschungsinstituten, liegen die Dinge dagegen komplizierter.

Der alte Elitegeist, der die deutsche Wissenschaft seit dem neunzehnten Jahrhundert beflügelte, sie zu Höchstleistungen anspornte und ihr weltweiten Respekt und internationale Attraktivität sicherte, ist von den 68ern gründlich ausgelöscht worden. "Unter den Talaren/ der Muff von tausend Jahren", lautete der höhnische, in sich total verblödete Diffamierungs-Slogan, mit dessen Hilfe Gestalten wie Gerhard Schröder oder Joschka Fischer die deutsche Wissenschaft kaputtmachten. Sie raubten ihr jeglichen Korpsgeist und jegliches Selbstbewußtsein, trieben Hunderte von sogenannten Spitzenwissenschaftlern in die Emigration (die teilweise eine Neu- und Zweitemigration war), öffneten dafür die Universitäten einem hemmungslosen Massenzustrom.

Ihr jetziges Umschwenken ist nur scheinbar. Sie denken nicht daran, an den Universitäten eine spezifische Elitebildung zu befördern, die der von ihnen etablierten politökonomischen Abzocker-Oligarchie eines Tages unbequem werden könnte. Unter "Elite-Professor" stellen sie sich lediglich eine Art Milchkuh vor, die man zwar gut füttern muß, damit sie viel Milch (sprich: von den Politökonomen sofort verwertbare "Ergebnisse") liefert, die im übrigen aber nichts zu sagen hat und um Himmels willen keine elitären Sonderansprüche entwickeln darf, keinen eigenen Korpsgeist und keinen eigenen Verhaltenskodex und natürlich auch keine eigenen, standesspezifischen politischen Vorstellungen.

Damit ist die Sache von vornherein ein totgeborenes Kind. Auch sogenannte "Funktionseliten", als die die Hochschullehrer gern im Unterschied zu den früheren Adelseliten apostrophiert werden, sind Eliten, die notwendig Herrschaftsbewußtsein, Herrschaftshierarchien und Herrschaftsabzeichen in Anspruch nehmen. Der alte Adel im Mittelalter wußte das und räumte den gelehrten, in Bologna, Paris, Oxford oder Köln lehrenden Mönchen, auch wenn es "nur Bettelmönche" waren, einen dem Adelsrang ebenbürtigen Elitestatus ein. Moderne Politiker und Vorstandsvorsitzende wissen das hingegen nicht mehr. Sie sind nicht bereit, ihre Macht mit anderen Schichten zu teilen, und deshalb ist ihre aktuelle Rede von den "Elite-Universitäten" bloßes Gerede, ein Propagandatrick, der weniger als nichts bedeutet.

Das von den Politikern gern bemühte Argument, ihre - der Politiker eigene - Herrschaft sei ja bloß "geliehen", unterliege von Legislatur zu Legislatur dem demokratischen Votum, während die Herrschaft der Hochschullehrer strukturell eine "absolute" sei und deshalb dauernd demokratisiert, kontrolliert und bürokratisiert werden müsse, wie das eben seit den 68er-Zeiten üblich sei, führt ins Aus für die Wissenschaft. Der untrügliche Beweis dafür sind die darnieder liegenden deutschen Massenuniversitäten, bürokratisch gegängelt bis zum Gehtnichtmehr, dauernd von Mittelkürzungen bedroht, ein Alptraum für jeden unabhängigen Forschergeist.

Wenn die gegenwärtige Diskussion über Elite-Universitäten einen Sinn ergeben soll, dann kann er nur in der Einsicht bestehen, daß man Konstellationen und Praktiken aus der Sphäre der Politik nicht beliebig auf andere Sphären des Lebens übertragen darf. Auch Demokraten müssen lernen, ihre (wirklich nur "geliehene", nicht vielleicht doch okkupierte?) Macht ehrlich und im Interesse der Gemeinschaft mit anderen Machtträgern, also mit anderen Eliten, zu teilen.

Ein optimal eingespieltes Wissenschaftlerteam an einem beliebigen Forschungsinstitut unterliegt anderen inneren Gesetzen als beispielsweise ein von politischen Parteien gebildeter parlamentarischer Untersuchungsausschuß, es ist eine natürliche Aristokratie. Große wissenschaftliche Ergebnisse lassen sich nicht herbeidemokratisieren, sowenig wie sie sich herbeibürokratisieren lassen. Elite-Universitäten entstehen nicht durch politischen Machtspruch aus Berlin, sondern indem man freie Schöpfergeister frei operieren und sich frei organisieren läßt. Sie brauchen keine Berliner Oligarchen, um zu lernen, was der Sache und den Menschen dient.


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