© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/04 16. Januar 2004

Von der Speisekarte zum Epos
Jugendstil: Am Sonntag endet in Berlin eine Alfons-Mucha-Ausstellung
Ekkehard Schultz

Wer von der Fachkritik hofiert wird, kann noch lange nicht mit der Gunst von großen Teilen des Publikums rechnen. Fast ebenso häufig kommt es vor, daß Künstler von der Kritik nur wenig, von den Massen jedoch geradezu euphorisch verehrt werden.

Zu letzteren kann auch der am 24. Juli 1860 im mährischen Eibenschitz geborene Alfons Mucha gerechnet werden. Mucha war ohne Zweifel in den Jahren um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einer der berühmtesten Jugendstilkünstler in Europa. Mit einer Vielzahl von Varianten dekorativer Lithographien prägte er eine gesamte Periode. Dennoch ist sein Lebenswerk erheblich breiter angelegt. Es reicht über Pastell-, Kohle- und Kreidezeichnungen, Bronzen, Raumdekor und Innenausstattung, Fotografien, Porträts - um nur die wesentlichen Bausteine zu nennen.

Durchsetzungswille und Zähigkeit zählten schon früh zu Muchas Eigenschaften. Die schroffe Ablehnung, die der Achtzehnjährige auf seine Bewerbung an der Prager Akademie der bildenden Künste erhielt ("Suchen Sie sich einen anderen Beruf, in dem Sie nützlicher sein werden"), entmutigte ihn nicht im geringsten, in dieser Branche weiterhin sein Glück zu suchen. Tatsächlich fand Mucha im Alter von 25 Jahren Gönner, die ihm doch noch ein Studium der bildenden Künste ermöglichten - wenn auch nicht in Prag, so doch in München und später auch in Paris.

In der französischen Hauptstadt gelingt Mucha im Jahre 1894 sein künstlerischer Durchbruch. Durch eine Verkettung glücklicher Umstände erhält er die Möglichkeit, ein Theaterplakat zu entwerfen, welches für einen Auftritt der bekannten Schauspielerin Sarah Bernhardt - einer Frau mit lebhafter Vergangenheit - werben soll. Nicht nur Bernhardt selbst ist von dem Entwurf Muchas begeistert, sondern auch das Pariser Publikum. Noch bevor die Plakate an den Säulen angeklebt werden können, werden sie den beauftragten Klebekolonnen förmlich aus den Händen gerissen, bereits angeklebte Exemplare werden unverzüglich von Sammlern wieder von den Säulen entfernt.

Mucha wird Mitglied einer Künstlergruppe, die regelmäßig ihre Werke im Salon des Cent ausstellen. Hier kann er 1897 in einer Einzelausstellung bereits 448 Werke präsentieren. Dennoch nimmt Mucha innerhalb der symbolistischen Gruppe, zu der unter anderem Pierre Bonnard, Eugène Grasset und Henry de Toulouse-Lautrec gehören, eine Sonderstellung ein. Seine Darstellungen zeichnen sich durch unerschütterlichen Optimismus und Vitalität aus, wogegen die Werke seiner Künstlerkollegen von Pessimismus und einen Hang zur Dekadenz auszeichneten.

Aus der über fünf Jahre andauernden, engen und äußerst fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Mucha und Sarah Bernhardt resultieren für ihn zahlreiche Folgeaufträge. Lukrativ gestalten sich vor allem die Beziehungen zur Werbewirtschaft: Benötigt wird alles - von der Plakatgestaltung für Zigarettenhersteller bis zum Layout von Speisekarten.

Zur Jahrhundertwende ist die Begeisterung für Muchas Darstellungen weit über die Grenzen Frankreichs gedrungen. 1904 reist Mucha zum ersten Mal in die Vereinigten Staaten. Weitere Aufenthalte folgen in kurzen Abständen. Doch sein Traum, dort eine langfristige künstlerische Perspektive zu finden, erfüllt sich nicht. Mucha steht dem amerikanischen Geschäftsgebaren fern - vor allem der Tatsache, daß die Auftraggeber fast immer wegen der ausgeführten, jedoch noch nicht bezahlten Aufträge gemahnt werden müssen. 1910 entschließt sich Mucha, nach Europa zurückzukehren, diesmal in seine nähere Heimat, nach Prag.

Während seines in künstlerischer Hinsicht wenig fruchtbaren Amerika-Aufenthaltes haben sich die Akzente auf dem alten Kontinent deutlich verschoben. In den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg steht bei den Kunstgelehrten der Expressionismus hoch im Kurs. Muchas Werke werden dagegen als antiquierte Relikte einer vergangenen Epoche betrachtet.

Großes Interesse an seiner Arbeit bringt dem Künstler dagegen ein kleinbürgerliches Publikum entgegen. Dazu tragen nicht nur die bei Mucha immer noch weit verbreiteten Jugendstilformen, sondern auch die stärker patriotisch geprägten Inhalte bei. Besonders kommt dies in seiner Gestaltung von Plakaten für die Feste des "Sokol", eines Turnvereins mit deutlich tschechisch-nationalen politischen Ambitionen, zum Ausdruck. Einen Höhepunkt erreichten die Arbeiten auf diesem Gebiet mit seinem größten und umfassendsten Werk, dem "Slawischen Epos". Mit Hilfe von Gemälden in größten Dimensionen verherrlichte Mucha ab 1912 die tschechische Geschichte, bei denen er inhaltlich unmittelbar an populäre Mythen der slawischen und tschechischen Geschichte anknüpfte.

1928 wird das "Slawische Epos", das insgesamt aus zwanzig Großgemälden besteht, von Mucha offiziell dem tschechischen Volk und der Stadt Prag übergeben. Bei der Verleihung führt er zu den Hintergründen dieses Werkes aus: "Ich bin davon überzeugt, daß die Entwicklung eines jeden Volkes nur erfolgreich vonstatten geht, wenn es organisch und kontinuierlich aus den Wurzeln dieses Volkes wächst, und daß für die Aufrechterhaltung dieser Kontinuität ein Wissen um seine historische Vergangenheit unverzichtbar ist."

Seine 1938 begonnene Autobiographie kann Mucha nicht mehr beenden. Am 14. Juli 1939 stirbt der fast Achtzigjährige, vermutlich eine Spätfolge einer kurzzeitigen Inhaftierung und Verhaftung durch die Gestapo nach der Besetzung Prags durch deutsche Truppen.

Nicht nur die zeitgenössische tschechische Kunstkritik in den zwanziger und dreißiger Jahren, sondern auch die staatssozialistische Tschechoslowakische Republik tat sich mit der Beurteilung von Muchas Werk schwer. Selbst im Rahmen von Großausstellungen wurden bis in die siebziger Jahre nur selten einige wenige Stücke des Künstlers präsentiert. Erst 1980 wurde in Prag eine umfangreiche Werkretrospektive gezeigt. Allein dem hartnäckigen Engagement von Muchas Tochter Jaroslava ist es zu verdanken, daß seit 1998 in der tschechischen Hauptstadt ein Mucha-Museum mit einer Dauerausstellung existiert.


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