© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/04 13. Februar 2004

Ein Tropfen im Ozean
Verfassungsschutz: In einem sensationellen Beitrag kritisiert eine einflußreiche juristische Fachzeitschrift die "hoheitlichen Tugendwächter" in Nordrhein-Westfalen
Dieter Stein

Der von der JUNGEN FREIHEIT im Jahre 1996 gegen das Land Nordrhein-Westfalen angestrengte Prozeß tritt in eine entscheidende Phase. Im Dezember vergangenen Jahres hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das NRW-Innenministerium zur schriftlichen Erwiderung auf die Verfassungsbeschwerde der JUNGEN FREIHEIT aufgefordert. Die JF klagt gegen einen Beschluß des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster vom 22. Mai 2001, das den Antrag auf Berufung gegen ein vom Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf am 14. Februar 1997 gefälltes Urteil abgewiesen hat. Das VG Düsseldorf hatte die Praxis des NRW-Verfassungsschutzes als rechtmäßig erklärt, die JUNGE FREIHEIT in ihren Jahresberichten im Kapitel "Rechtsextremismus" zu erwähnen und zu verbreiten, es lägen "tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht auf rechtsextremistische Bestrebungen" in der JUNGEN FREIHEIT vor.

Eine Mauer des Schweigens durchbrochen

Eine Mauer des Schweigens um die "NRW-Verfassungsschutz"-Affäre wurde jetzt durchbrochen. In der Ausgabe 6/2004 veröffentlichte die einflußreichste Fachzeitschrift für deutsche Juristen, die Neue Juristische Wochenschrift (NJW) auf den Seiten 344-347 einen aufsehenerregenden Aufsatz mit dem Titel: "Hoheitliche Tugendwächter: Verfassungsschutz und 'Neue Rechte'". Dieser Aufsatz ist eine Sensation. Denn: Jahrelang ist die Diskriminierung der Wochenzeitung junge freiheit, ihrer Redakteure, Autoren, Interviewpartner und Leser durch Unterstellungen und Verleumdungen in den alljährlichen Verfassungsschutzberichten von den Medien und der Fachpresse totgeschwiegen worden. Statt dessen werden die haltlosen Verdächtigungen aus der Düsseldorfer Zentrale des NRW-Innenministeriums von Medien gerne ungeprüft zitiert, wenn über die JF berichtet wird.

Autor des NJW-Artikels ist der Vorsitzende Richter am Landgericht i.R. Günter Bertram, seit Jahren als Verfasser zahlreicher Beiträge für die NJW bekannt, die - laut Eigenangaben - mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren und 100.000 Lesern zur Pflichtlektüre aller Rechtsanwälte und Richter gehört und deren Veröffentlichungen oft entscheidungskräftige Argumente für Gerichtsverfahren liefern.

Erstmals bringt ein Beitrag in einer juristischen, allgemein anerkannten Fachpublikation die Grundsatzproblematik auf den Punkt, die durch das verfassungswidrige Vorgehen des NRW-Verfassungsschutzes berührt ist.

Bertram steigt mit einer heftig umstrittenen, vom Düsseldorfer Innenministerium veranstalteten Fachtagung vom vergangenen Herbst ein (JF berichtete mehrfach): "­­­­­Ein Gespenst geht um ... 'Die Neue Rechte - eine Gefahr für die Demokratie?' fragt Düsseldorfs Innenminister in der Einladung zur 'Fachtagung für Vertreter aus Wissenschaft, Medien, Bildung und Verfassungsschutz' am 8. 10. 2003: Sie seien gefährlicher als Neonazis, Schläger, offene Ausländerfeinde und Antisemiten. Die Neue Rechte komme anders daher: als eine intellektuelle 'Strömung', geistig anspruchsvoll, im Ton durchweg moderat. Gerade dieser geschickten Mimikry wegen sei sie um so gefährlicher: als Brücke zur gesellschaftlichen Mitte, in die hinein sie ihre Themen transportiere, um letztlich die 'kulturelle Hegemonie' zu erobern. Ihr Flaggschiff - Inkarnation ihres Geistes - sei die rechtsintellektuelle Berliner Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT, die deshalb seit vielen Jahren unter der Beobachtung seines Verfassungsschutzes stehe ..."

Günter Bertram war ausweislich des Textes Gastteilnehmer der Düsseldorfer Tagung, die wegen der Teilnahme von Referenten mit linksextremistischem Hintergrund wie Christoph Butterwegge Schlagzeilen machte und für parlamentarische Anfragen im Bundestag und Landtag sorgte. Diese Tagung wird nun in der NJW als tendenziöse, parteiliche Propagandaveranstaltung entlarvt. Bertram beschreibt aufmerksam die sich obendrein einander wild widersprechenden Aussagen der Referenten, um dann zum vom NRW-Verfassungsschutz aufgebauschten Popanz "Neue Rechte" zu kommen, mit dem man die JUNGE FREIHEIT gekonnt in die rechtsextremistische Schublade stecken will. Der Autor zum abenteuerlichen Konstrukt der NRW-Schlapphüte:

"Die JUNGE FREIHEIT (Neue Rechte) strebe nach kultureller Hegemonie und letztlich der politischen Macht ... Man faßt sich (spätestens hier!) an den Kopf: Das Blatt hat, wie der Verfassungsschutz schätzt, eine wöchentliche Auflage von circa 10.000 Exemplaren. Über Deutschland regnen täglich 30-40 Millionen Zeitungen nieder, wöchentlich circa 250 Millionen Stück. Die elektronischen Medien wirken noch tiefer, so daß alles in allem, wie immer man rechnet, die lächerlich wenigen Exemplare der JUNGEN FREIHEIT ein Tropfen im Ozean sind - selbst unter dem Mikroskop kaum zu finden. Und von dort soll der Sturm auf die kulturellen Kommandohöhen drohen? Leidet der Verfassungsschutz unter Verschwörungsängsten?"

Die kulturelle Hegemonie beherrscht die Linke

Wenn auch die JF-Redaktion hofft, daß der Einfluß ihrer Zeitung nicht nur wie ein "Tropfen im Ozean" ist, so hat doch Bertram das Geschwafel von den "Hegemoniebestrebungen", geschweige denn "Umsturzplänen" von "neurechten" Intellektuellen als durchsichtiges Scheinargument der NRW-Verfassungsschützer enttarnt. Mit dem Gummi-Begriff einer "Neuen Rechten" als Brückenspektrum zwischen "demokratischen Konservativen" und Rechtsextremisten soll nämlich schlicht die komplette Hälfte des demokratischen Spektrums, nämlich die "rechte", unter ständigen Generalverdacht gestellt und nach Gusto politisch erpreßbar werden. In Wahrheit käme der Griff nach "kultureller Hegemonie" schon lange von einer ganz anderen Seite, so Bertram:

"Man sollte das kuriose Wort von der kulturellen Hegemonie einmal unter die Lupe nehmen: Gibt es die überhaupt, und wer besitzt sie heute? Abstrakt gestellt, führt die Frage ins Nichts; aber konkret - anhand der Schriften des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes und tausend anderer - ist sie schnell beantwortet: Die Definitionshoheit über das, was thematisch als diskursfähig gilt, was gesagt werden kann und (vor allem!) wie man es sagen darf oder muß, und was vor der Tür zu bleiben hat: die liegt links."

Wenn also überhaupt davon die Rede sein kann, daß jemand seine politische Macht durch eine "kulturelle Hegemonie" dauerhaft zu zementieren sucht, dann ist es die Linke in Gestalt der nordrhein-westfälischen SPD, die sogar mit Hilfe des Verfassungsschutzes unbequeme Konservative und demokratische Rechte durch hoheitliche Maßnahmen diskriminiert. Das wäre eigentlich ein tatsächlicher Fall für den Verfassungsschutz!

Viele Beobachter, aber auch vor allem Leser dieser Zeitung fragen sich, weshalb ausgerechnet die JUNGE FREIHEIT mit derartiger Penetranz vom NRW-Verfassungsschutz drangsaliert wird. Bertram vermutet, daß es an der besonderen Uneinsichtigkeit der JF gegenüber einer im öffentlichen Raum zu exekutierenden political correctness liegt:

"Und wer sich so wenig an die dort (auf der Linken, D.S.) aufgestellten Regeln hält wie die JUNGE FREIHEIT, deren Redakteure durchweg schreiben, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, verpönte Themen nicht umschiffen, sondern sie ausdrücklich zur Sprache bringen - Fragen, die man, wie es heißt, 'nicht in den Wahlkampf zerren' soll oder die sich öffentlich nicht gefahrlos 'vermitteln' lassen -, der greift Herrschaft und Hegemonie frontal an. Mag sein, daß eine Zeitung, die political correctness so demonstrativ mißachtet, gerade ihrer Winzigkeit wegen einen um so größeren Grimm erregt. Jedenfalls wird ihr just diese Unbotmäßigkeit im Verfassungsschutzbericht 2001 als Kampagne und fortgesetzter Versuch der Delegitimierung des demokratischen Rechtsstaates eigens ins Sündenregister gesetzt ..."

Doch es bleibt nicht bei dieser scharfen Kritik am nordrhein-westfälischen Innenministerium. Bertram weist dem NRW-Innenminister Behrens darüberhinaus eine Täuschung der Teilnehmer der besagten Fachtagung vor. Als Rechtfertigung für die fortgesetzte, nunmehr zehn Jahre dauernde Gängelung der jungen freiheit durch die Erwähnung in den Verfassungsschutzberichten, verwies Behrens zum wiederholten Male rechtfertigend auf die für die JF negativen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte in Düsseldorf und Münster, die doch eine fortgesetzte Beobachtung der Zeitung stützten. Bertram jedoch dazu:

"Eine glatte Irreführung, denn das VG Düsseldorf hatte am 14. 2. 1997 lediglich über die Berichte 1994 und 1995 geurteilt. Der 5. Senat (Präsidentensenat) des OVG Münster hatte dann über die Berufungszulassung zu beschließen, über vier Jahre geschwiegen und am 22. 5. 2001 einen Zurückweisungsbeschluß gefällt, der eigens anmerkt, da die Entscheidung lediglich die Jahre 1994 und 1995 betreffe, komme es nicht darauf an, daß die alte (ungünstige) Beurteilung 'derzeit' unter Umständen nicht mehr zutreffe."

Bertram kritisiert weiter die Unfähigkeit der Düsseldorfer Behörde, den erwachsenen Teilnehmern der Fachtagung ein eigenständiges Urteil über die JUNGE FREIHEIT zuzutrauen, indem wenigstens Ansichtsexemplare ausgelegt würden, geschweige denn, daß man souverän genug gewesen wäre, einen JF-Vertreter oder neben des Linksextremismus verdächtigen Referenten wenigstens einen konservativen Extremismusexperten einzuladen:

"Da die Neue Rechte als solche nicht augenscheinsfähig ist, wäre zu erwarten gewesen, daß einige Dutzend Exemplare der JUNGEN FREIHEIT jedenfalls zur Pausenlektüre auslagen. Ist doch, wie es heißt, gerade sie die Inkarnation neu-rechten Geistes. Aber keine einzige Nummer war zu finden. Es gab zur Selbstbedienung noch nicht einmal einen Giftschrank (worin man in der DDR die Westliteratur für zuverlässige Kader einzuhegen pflegte)."

Der NJW-Autor stellt in seinem Text an einer anderen Stelle auch noch einmal klar, daß man die JUNGE FREIHEIT zwar verfolge, aber in Wahrheit dabei jemand anderes meine, nämlich "das bürgerliche, konservative, nationale Lager, eigentlich alles, was nicht links ist. Da nun in der praktischen Tagespolitik eine Unterscheidung von links und rechts schon längst unmöglich geworden ist, läßt sich nur noch mit rein psychologischen Kampagnen etwas ausrichten, die mit Gut und Böse hantieren und der Konkurrenz die verwerflichsten Motive und Teufeleien zuschreiben: Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Revisionismus, Rassismus etc."

Bertram erkennt eine Strategie beim NRW-Innenministerium, die nicht gegen rechten Extremismus, sondern "schlicht gegen Rechts" mobilisieren soll: "Wie man die Neutralität der Verfassungsschutzämter generell einschätzen muß, ist eine Frage für sich. Nordrhein-Westfalen jedenfalls bekennt ganz offen seine Parteilichkeit: ' www.NRWGegen-Rechts.de ' stand bis zum Verfassungsschutzbericht 2001 auf deren Cover und auf anderen seiner Schriften (man stelle sich vor, eine bürgerliche Regierung ließe ihren amtlichen Schriftstücken ' www.gegenLinks.de ' aufdrucken: Ein Skandal fürs ganze Jahr!)."

Bertram hat erkannt, daß NRW im Kern die politische Konkurrenz im bürgerlichen Lager unter Druck setzen will:

"Hier soll die Erfindung der Neuen Rechten aushelfen. ... Wenn einer der Ihren (der Union; D.S.) sich der JUNGEN FREIHEIT als Interviewpartner zur Verfügung stellt und das von der anderen Seite an die große Glocke gehängt wird, dann ist das viel peinlicher, als wenn der Bordellbesuch eines Kollegen in die Öffentlichkeit dringt. Wer mit der Neuen Rechten in Verbindung gebracht werden kann, ist schon halb verloren."

Bertram fordert nun eine korrigierende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe, das den außer Rand und Band geratenen NRW-Verfassungsschutz endlich in die Schranken der staatlichen Neutralität verweisen soll: "Das Bundesverfassungsgericht wird darüber zu entscheiden haben, ob die Charakterisierung der JUNGEN FREIHEIT in den Verfassungsschutzberichten als rechtsextremistisch (formal wohl beschränkt auf die Jahre 1994/95) vor dem Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit bestehen kann."

Für das Skandal-Urteil des OVG Münster von 2001, das die NRW-Praxis billigte und die Zulassung der Berufung der JF abwies, findet Ex-Richter Bertram deutliche Worte. Pluralistische Meinungsbildung sei ohne "öffentliche Kritik" nicht denkbar, hatte das OVG geurteilt. Also könne sich die JF gegenüber an ihr in behördlichen Berichten geäußerter Kritik nicht auf die Pressefreiheit berufen. Das sei fragwürdig, meint nun der NJW-Autor:

"Daß ein besonders hochkarätig besetzter Senat Wesen und Richtung der Pressefreiheit derart verkennen sollte, daß er der obrigkeitlichen Schurigelung eines kleinen Verlages die Weihen 'öffentlicher Kritik' erteilt (also offiziell und öffentlich nicht zu unterscheiden weiß), scheint unerklärlich. Sollte eine Aversion gegen die JUNGE FREIHEIT , die den Beschluß überdeutlich prägt, auch hier eine Rolle gespielt haben?"

Man darf gespannt sein, zu welchem Ergebnis die Karlsruher Richter kommen werden. Der Aufsatz in der NJW könnte den Entscheidungsprozeß beschleunigen. Bis Redaktionsschluß war übrigens nicht bekannt, wie die Klageerwiderung des NRW-Innenministeriums auf die Verfassungsbeschwerde der JF ausgefallen ist.

Informationen: Neue Juristische Wochenschrift, Verlag C. H. Beck, Wilhelmstr. 9, 80801 München, Internet: www.njw.de


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