© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/04 13. Februar 2004

Meldungen

Freiräume nicht bis zuletzt verteidigt

GÖTTINGEN. Mit vier umfangreichen Beiträgen geht Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft (Heft4/03) auf das Thema "Protestantismus und Nationalsozialismus" ein. Wie es im Zentralorgan der Bielefelder Schule nicht überraschen kann, muß im Detail die Ausgangsthese bestätigt werden, daß vor allem das "konservativ-protestantische Sozialmilieu" der Hitler-Bewegung am weitesten deshalb entgegenkam, weil es selbst einschlägig weltanschaulich prädisponiert war, um sich für die "völkischen Ideen" von 1933 empfänglich zu zeigen. Die größte geistige Nähe wiesen jene Lutheraner auf, denen als "Deutsche Christen" (DC) zeitweise fast die Spaltung sämtlicher Landeskirchen gelang. In seinem Beitrag über "Antijudaismus und Antisemitismus in den evangelischen Landeskirchen" gelangt Gerhard Lindemann zu dem Fazit, daß auch außerhalb der DC-Hochburgen die Kirchenoberen bestrebt waren, sich nicht als "Störfaktor" zu gerieren. Einem erwarteten staatlichen Eingreifen sei man daher stets durch Anpassung an die NS-Judenpolitik zuvorgekommen. Vorauseilender Gehorsam habe es verhindert, mögliche Freiräume bis zuletzt zu verteidigen. Zudem seien sich Landesbischöfe nicht zu schade gewesen, das von Kirchenhistorikern in letzter Zeit häufiger traktierte "Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" zu unterstützen. Dieses Eisenacher Institut habe ein Pendant zu NS-Bestrebungen gebildet, die Juden aus dem Reich zu verdrängen.

 

Bestsellerliste für die NS-Zeit

MÜNCHEN. Die bislang nicht sonderlich ausgedehnten Bemühungen um die literaturhistorische Erforschung des Dritten Reiches werden von einer grundlegenden Einteilung beherrscht: NS-Literatur einerseits und das Schrifttum der "Inneren Emigration" andererseits. Damit, so Tobias Schneider in seiner Untersuchung über "Bestseller im Dritten Reich" (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 1/04), habe eine herrschende "ideologiekritische" Richtung in der bundesdeutschen Literaturgeschichte etwas konstruiert, was der NS-Propaganda versagt geblieben sei: "Die Etablierung der NS-Literatur als der Literatur im Dritten Reich". Anknüpfend an die Arbeiten des Regensburger Literaturhistorikers Hans Dieter Schäfer und sein bahnbrechendes Werk über "Das gespaltene Bewußtsein" (1981) möchte Schneider das Klischee aufbrechen, daß die breit rezipierte Literatur zwischen 1933 und 1945 nur "NS-Literatur", also "Propaganda-, Kriegs- und Blut-und-Boden-Literatur" gewesen sei. In der von ihm erstellten "Bestseller-Liste" taucht ein einschlägiges Werk, Hans Zöberleins "Befehl des Gewissens" darum auch erst an 12. Stelle auf, weit hinter dem "Erbe der Björndals" des Norwegers Trygve Gulbranssen, Ehm Welks "Heiden von Kummerow" oder Heinrich Spoerls "Feuerzangenbowle", während die US-Schriftstellerin Margaret Mitchell mit "Vom Winde verweht" (16 Auflagen bis 1941, 300.000 verkaufte Exemplare) eher am unteren Ende der Skala zwischen zwei Ganghofer-Titeln zu finden ist. Unpolitische Unterhaltungsromane dominieren drei Viertel von Schneiders Liste, die - im angeblich so modernitätsfeindlichen Dritten Reich - von den Technik- und Wissenschaftsromanen Karl Aloys Schenzingers angeführt wird.


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