© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/04 20. Februar 2004

Schmutziger Wahlkampf an der Alster
Hamburg-Wahl: Massive Plakatzerstörungen und persönliche Angriffe der Kandidaten prägen den Kampf um die Macht in der Bürgerschaft
Peter Freitag

Der Hamburger Bürgerschaftswahlkampf geriet in der vergangenen Woche schlagzeilenträchtig zu einem Fall für die Sicherheitskräfte. Am Donnerstag verübte eine offenbar geistig verwirrte Frau eine Messerattacke auf Justizsenator Roger Kusch (CDU), als dieser gerade einen Informationsstand seiner Partei besuchte. Kusch erlitt dabei eine Stichwunde am Oberschenkel, die ambulant behandelt werden konnte. Bereits einen Tag später erhielten alle Mitglieder des Senats bei Auftritten in der Öffentlichkeit jeweils einen Polizeibeamten zum persönlichen Schutz; bei einer "akuten Gefährdungslage" können zusätzlich speziell ausgebildete Personenschützer des Landeskriminalamtes hinzugezogen werden.

Mehr als die Hälfte der Schill-Plakate werden zerstört

Eine weitere Herausforderung für die Ordnungshüter stellen die vermehrten Fälle von Plakatzerstörungen dar. Besonders Wahlwerbetafeln mit dem Konterfei des ehemaligen Innensenators Ronald Schill (Pro Deutsche Mitte/ Schill) wurden in der Vergangenheit Ziel eines solchen Vandalismus. Nach Angaben des Pro DM-Landesgeschäftsführers Richard Braak wurden in wenigen Tagen fast 6.000 der insgesamt 10.000 Plakate "systematisch" zerstört. Braaks Vermutung: "Irgend jemand bezahlt diese Leute". Die Partei hatte daraufhin Anzeige bei der Hamburger Staatsanwaltschaft erstattet, nach deren Auskunft jedoch keine Erkenntnisse über eine bandenmäßig organisierte Beschädigung vorliegen.

Am Freitag nahm die Polizei fünf Männer im Alter von 20 bis 25 Jahren fest, als diese gerade Plakate mutwillig beschädigt hatten; "Opfer" waren in diesen Fällen allerdings Werbungen von CDU und FDP. Um so unverständlicher, daß der CDU-Spitzenkandidat und Erste Bürgermeister Ole von Beust in einem Interview mit dem Rundfunksender Alsterradio lakonisch feststellte, er halte die Zerstörung von Schill-Plakaten für eine "Sachbeschädigung", sei jedoch "froh über jedes, das ich nicht sehe".

Schill seinerseits zog mit juristischen Mitteln gegen Wahlwerbung der Union zu Felde. Von Jusitzsenator Kusch, Wirtschaftssenator Gunnar Uldall und Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram forderte der ehemalige Kollege mit Unterlassungserklärungen, künftig keine unzulässige Wahlwerbung zu betreiben. Die Namen der Uninonspolitiker samt ihrer Amtsbezeichnung standen unter Plakattexten, mit denen für von Beust geworben wurde. Laut Hamburger Wahlgesetz ist dieser Hinweis auf das Senatorenamt jedoch unzulässig, wenn die betreffende Person nicht selbst für die Bürgerschaft kandidiert. Bisher hat keiner der drei Senatoren die geforderte Unterlassungserklärung unterzeichnet, die CDU verzichtete jedoch auf eine weitere Plakatierung dieser Wahlaufrufe.

In einem Interview der Tageszeitung Die Welt gab sich Schill zuversichtlich, daß seine neue politische Gruppierung den Einzug in die Bürgerschaft schaffen wird: "Die Bürger wollen, daß es jemanden gibt, der den Frieden der etablierten Parteien stört, der aufrüttelnde Reden hält. Ich bin der personifizierte Protest, der sagt, was er denkt - ohne danach zu gucken, ob es für ihn selbst Vor- oder Nachteile bringt. Ich habe Politikverdrossene wieder an die Wahlurnen gebracht. Und nur ich kann einen weiteren Rückgang der Kriminalität, die konsequente Abschiebung von Ausländern und die Integration integrationswilliger Ausländer garantieren." Obwohl in bisher veröffentlichten Umfragen die Liste ProDM/Schill bei drei Prozent Zustimmung rangiert, geht der Spitzenkandidat selbst von einem Ergebnis "zwischen sechs und zehn Prozent" aus. Die in Auftrag gegebenen Meinungsumfragen seien zum Teil manipuliert, um den Eindruck zu erwecken, eine Stimme zugunsten seiner Partei sei wegen der Chancenlosigkeit verschenkt. "Das ist, begleitet von Kommentaren, gezielte Politik", so Schill. Nach seiner Einschätzung bestünde jedoch sogar die Möglichkeit, nach dem 29. Februar eine Koalition mit der CDU einzugehen, nur nicht mit von Beust an der Spitze. Schill deutete dagegen an, daß unter Führung des derzeitigen Finanzsenators Wolfgang Peiner eine solche Konstellation möglich wäre. Die Union hat demgegenüber mehrfach darauf verwiesen, daß sie unter keinen Umständen einen Senat mit Beteiligung Schills bilden wolle. Auch spricht angesichts des fast vollständig auf die Person des populären Spitzenkandidaten Beust zugeschnittenen Wahlkampfs wenig für ein derartiges Szenario.

Laut Umfrage haben nur drei Parteien Chancen

Glaubt man den Umfragen, wären nach gegenwärtigem Stand nur drei Parteien in der neuen Bürgerschaft vertreten, wobei die CDU noch immer mit einer knappen Mehrheit gegenüber SPD und Grün-Alternativer Liste zusammen führt, andere Meinungsforschungsinstitute gehen derzeit von einem Patt aus. Wahrscheinlich ohne jede Chance auf einen Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde ist die Partei Rechtsstaatlicher Offensive, die immer noch bei lediglich einem Prozent Zustimmung rangiert. Und auch der liberale Koalitionspartner muß um seinen Wiedereinzug ins Rathaus bangen: Die FDP erhält Werte von drei Prozent und kann trotz Mahnungen seitens ihres Bundesvorsitzenden Guido Westerwelle nicht mit einer Unterstützung durch die CDU rechnen, die nach wie vor die absolute Mehrheit anstrebt.

Die SPD hofft, durch den angekündigten Wechsel in der Führung der Bundespartei aus ihrem Stimmungstief zu gelangen. Im Tonfall wurde der Spitzenkandidat Thomas Mirow gegenüber dem Amtsinhaber jüngst deutlich schärfer. Beusts Kinderlosigkeit sei ein Grund für das Versagen des jetzigen Senats in der Bereitstellung von Plätzen in Kindertagesstätten, so Mirow auf einer Wahlveranstaltung. Sofort hagelte es für diesen Versuch, den in Beliebtheitsumfragen führenden CDU-Mann vom Sockel zu stoßen, harsche Kritik. Mirow, so der Vorwurf, habe mit dieser Anspielung in geschmackloser Weise Beusts Homosexualität erneut thematisiert.


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