© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/04 27. Februar 2004

Kolumne
Absage an Ankara
Klaus Hornung

Angela Merkels Auftritt in Ankara war respektabel. Die CDU-Vorsitzende erteilte der EU-Mitgliedschaft der Türkei eine Absage mit der zutreffenden Begründung, die Europäische Union wäre damit wirtschaftlich und politisch ganz eindeutig überfordert.

Was Merkel mit diplomatischer Rücksichtnahme nicht erwähnte, ist freilich nicht weniger gravierend: Für Recep Tayyip Erdogan und seine Partei soll die EU-Mitgliedschaft der Türkei recht bald einen fühlbaren Abfluß ihres Bevölkerungsüberschusses nach Europa und besonders in das bereits übervölkerte, aber sich seiner selbst so unsichere Deutschland ermöglichen. Erdogan ist - im Unterschied zu den europäischen "Eliten" - ein langfristig und weiträumig denkender Politiker und Stratege, der insbesondere über die Lage in Deutschland mit seiner Überalterung und Identitätsschwäche allerbestens unterrichtet ist.

Er weiß genau, daß die 2,5 Millionen Türken in der Bundesrepublik Deutschland längst "den Fuß in der Tür" haben und sie hier auf die politische Selbstfesselung der deutschen "Eliten" im Zeichen der Abwehr angeblicher "Fremdenfeindlichkeit" zählen können.

Der neue starke Mann in der Türkei ist der Auffassung, daß er sein Land nur "entwickeln" kann, wenn er der Last seiner Bevölkerungsexplosion ein Ventil schafft, das er in Deutschland ausgemacht hat. Ein Milliarden-Segen durch den EU-Beitritt ist für ihn ein weiteres Schnäppchen, dessen Zahler eben die Europäer und insbesondere die Deutschen sein werden. Intelligente Moslems haben sie geschichtlich längst abgeschrieben.

In Ankara dreht man also ein großes Rad, und die Berliner rot-grüne Regierung ist dabei nach Kräften behilflich, versteht man doch von solchen Sachen etwas. Kurz vor der letzten Wahl hatte Joschka Fischer im Fernsehen damit geprahlt, er habe in seinem Leben schon manches großes Rad gedreht, so daß ihn die damaligen schlechten Umfrageergebnisse für Rot-Grün nicht schreckten. Das Rad war damals die hochgespielte Irak-Frage, die der Regierung Fischer-Schröder schließlich in der Tat die - wenn auch knappe - Mehrheit sicherte. Hunderttausende neudeutsche Wähler türkischer Herkunft hatten dafür den entscheidenden Ausschlag gegeben.

Grün und Rot sehen 2006 eine erneute Chance für das große Rad. Und der türkische EU-Beitritt soll dann ihre Mehrheit und die Multikulti-Gesellschaft in Deutschland langfristig sichern.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Hohenheim.


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