© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/04 27. Februar 2004

Bekämpfung der unmittelbaren Bedrohungen
Geopolitik: Eine US-Militär-Studie kritisiert den "unnötigen Krieg" gegen den Irak und den "unrealistischen" Anti-Terror-Kampf
Alexander Griesbach

Seit Ende vergangenen Jahres sorgt eine vom renommierten US-Army War College herausgegebene Studie in den USA für Gesprächsstoff. Die in scharfem Ton formulierte Schrift, die den Titel "Bounding the Global War on Terrorism" (Den globalen Krieg gegen den Terrorismus eingrenzen) trägt, kritisiert die Art und Weise, wie die Regierung von US-Präsident George W. Bush den sogenannten Kampf gegen den Terrorismus führt.

Der US-Administration wird zum einen vorgehalten, einen "unnötigen Krieg" gegen den Irak geführt haben. Zum anderen wird die als "unrealistisch" bezeichnete Bekämpfung des Terrorismus angegriffen, welche die Gefahr heraufbeschwört, mit Staaten in Konflikt zu geraten, die keine ernsthafte Herausforderung für die USA darstellten. Die US-Studie, für die Jeffrey Record, ein Gastprofessor an der Hochschule für Luftkriegführung beim Fliegerhorst Maxwell in Alabama, verantwortlich zeichnet, warnt vor den Konsequenzen einer derartigen Politik. Die US-Armee sei, so der Autor, an den Grenzen ihrer Möglichkeiten angelangt.

Globaler Krieg gegen den Terrorismus ist unüberlegt

Record empfiehlt deshalb unter anderem, von dem Ziel eines "globalen Krieges gegen den Terrorismus" abzurücken und sich statt dessen auf die Bekämpfung der unmittelbaren Bedrohung durch das terroristische Netzwerk al-Qaida zu konzentrieren. Der globale Krieg gegen den Terrorismus, so wie er derzeit angelegt sei und geführt werde, schreibt Record sinngemäß, sei unüberlegt. Seine Parameter sollten deswegen neu justiert werden. Gegenwärtig verzettele sich der antiterroristische Feldzug der USA. Es werde mehr versprochen, als gehalten werden könne. Darüber hinaus könne bei dem nicht enden wollenden Bemühen, absolute Sicherheit herzustellen, nicht ausgeschlossen werden, daß die Möglichkeiten der US-Armee überbeansprucht würden.

Die hier vorgetragene Kritik kommt nicht von irgend jemandem. Record hat sich einen Namen als Spezialist für Verteidigungsfragen gemacht und ist Autor von sechs Büchern, die sich mit militärstrategischen oder benachbarten Fragen beschäftigen. Außerdem war Record Berater des demokratischen Ex-Senators Sam Nunn, als dieser Vorsitzender des wehrpolitischen Armed Services Committee war. Record machte bereits unter dem demokratischen US-Präsidenten Bill Clinton mit kritischen Äußerungen zur damaligen Regierungsarbeit von sich reden.

Zwar wird im Vorwort seiner aktuellen Studie darauf verwiesen, daß Record in keiner Weise die Auffassung der US-Armee, des Pentagons oder der Regierung zum Ausdruck bringe, sondern nur seine persönliche Meinung. Festzuhalten aber bleibt, daß sich der inzwischen pensionierte US-Offizier Douglas C. Lovelace Jr., Direktor des Instituts für Strategische Studien (Strategic Studies Institute/SSI), das Records Arbeit publizierte, bisher in keiner Weise von Record distanziert hat. Von den Internetseiten dieses US-Institutes ( www.carlisle.army.mil/ssi/ ) kann die Studie heruntergeladen werden.

Die Argumente, die Record bringe, betont Lovelace, sollten sehr sorgfältig erwogen werden. Desweiteren wurde die brisante Studie von dem Kommandanten des U.S. Army War College ( www.carlisle.army.mil/ ), Generalmajor David H. Huntoon, gebilligt. Huntoon gestand zwar ein, daß die Studie Anlaß für Kontroversen biete, fügte aber hinzu, daß dies wegen der akademischen Freiheit möglich sein müsse.

Saddam Hussein war keine ernsthafte Gefahr für die USA

Eine Reihe von Argumenten, die Record anführt, sind nicht neu. So beispielsweise der Hinweis, daß der inzwischen verhaftete irakische Präsident Saddam Hussein zu keinem Zeitpunkt eine ernsthafte Gefahr für die USA darstellte. Der Krieg gegen den Irak, so unterstreicht Record, habe von dem eigentlichen Ziel, nämlich der Bekämpfung von al-Qaida abgelenkt. Ungewöhnlich sind nicht Records Argumente, sondern die Tatsache, daß derartige Auffassungen vom War College publiziert werden, der renommiertesten akademischen Institution der US-Armee.

Brisant ist auch das Hauptargument Records. Er vergleicht die amerikanische Verkennung eigener Möglichkeiten mit der Adolf Hitlers im Zweiten Weltkrieg. Die Deutschen seien in zwei Weltkriegen besiegt worden, weil ihre strategischen Ziele ihre tatsächlichen Mittel überstiegen. Dieses Vorgehen verstieß gegen eine entscheidende strategische Grundregel: nämlich die Zahl der Feinde in einem überschaubaren Rahmen zu halten.

Geradezu spöttisch äußert sich Record über das Ziel der Regierung Bush, den Nahen Osten "demokratisieren" zu wollen. Der mögliche Zahltag für einen demokratischen und wohlhabenden Nahen Osten, falls es ihn jemals geben sollte, liege in einer sehr weit entfernten Zukunft, schreibt Record und fügt kritisch hinzu: Die Basis, auf der diese demokratische Dominotheorie basiere, sei niemals hinreichend erklärt worden.

Zweifel hegt der Autor darüber, ob es der US-Regierung gelingen wird, die Verpflichtungen, die sie im Hinblick auf den Krieg gegen den Terrorismus eingegangen ist, einzuhalten. Es bleibe abzuwarten, ob die politischen, fiskalischen und militärischen Lasten, die der globale Krieg gegen den Terrorismus mit sich bringe, geschultert werden könnten, äußert sich Record zurückhaltend.

Record schließt seinen Essay mit einer Reihe von Empfehlungen ab. Einmal hebt er hervor, daß die US-Armee und die US-Marine vergrößert werden müßten. Diese Forderung dürfte auch in der Regierung Bush kaum auf Widerstand stoßen. Zum anderen betont er, daß die USA ihr Engagement im Irak deutlich verringern sollten. Dabei sollten sie auf die Installation einer freundlichen gesonnenen Autokratie anstatt auf eine wirkliche Demokratie setzen.

Auch hier dürfte es keinen größeren Dissens mit der Regierung Bush geben. Erinnert sei hier nur an die jüngsten Diskussionen um ein Engagement der Nato oder der Uno im Irak. Bleibt im Kern nur noch die Forderung, sich ganz auf die Bekämpfung von al-Qaida zu konzentrieren. Ob es hier zu einer Neujustierung kommt, hängt wohl auch vom Ausgang der Präsidentschaftswahl im November dieses Jahres ab.


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