© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/04 27. Februar 2004

Geld anlegen will gelernt sein
Eine unerhörte Begebenheit
Richard Stoltz

Hodscha Nassr-ed-Din Effendi aus Buchara, der sagenhafte türkische Eulenspiegel, pflegte auf die Routinefrage "Wie geht es dir?" ebenso routinemäßig zu antworten: "Sehr gut geht es mir. Ich habe mein Geld sicher in Getreide angelegt. Das Getreide steckt in Mehl. Das Mehl steckt in Brot. Und alles, was ich an Brot habe, steckt wohlverwahrt in meinem Bauch."

Ein Mann aus dem französischen Cholet, über dessen Tod im Alter von 62 Jahren vergangenen Donnerstag das Fachblatt The New England Journal of Medicine berichtete, hielt den Bauch ebenfalls für den sichersten Tresor, der denkbar sei. Nur scheute er die lange Umtausch-Kette "Geld-Getreide-Mehl-Brot" à la Nassr-ed-Din. Er verschlang die Geldmünzen direkt, was ihm manches Ungemach und seiner Familie, die alles Geld im Haus verstecken mußte, ständige Sorge eintrug. Zwar befand sich der Mann zeitweise in psychiatrischer Behandlung, doch zu seiner Entmündigung reichte es nicht, denn von der Eßstörung abgesehen war er völlig normal.

Merkwürdig auch: Die alten Franc- und Centime-Münzen aus der Zeit vor der Währungsumstellung hatten ihn nie in Lebensgefahr gebracht, gingen nach einer gewissen Zeit auf natürlichem Wege ab. Anders die neuen Euro-Münzen. Die lagen ihm schwer und dauerhaft im Magen, sein Bauch schwoll an, er mußte notoperiert werden. Die Ärzte entfernten ihm den Magen und holten sage und schreibe 350 Münzen mit einem Gesamtgewicht von elf Pfund aus ihm heraus. Knapp zwei Wochen nach dem Eingriff verstarb der Mann an auftretenden Komplikationen.

Was hätte wohl Nassr-ed-Din aus Buchara zu dem ungewöhnlichen Fall gesagt? Nun, vielleicht hätte er dem Franzosen die Fischaugen-Kur empfohlen. Nassr-ed-Din pflegte nämlich auf dem Basar für teures Geld Fischaugen, "die klug und weise machen", feilzubieten. Einst kaufte ein Fremder gleich zwölf solcher Fischaugen, verschluckte sie gierig - und da fiel sein Blick auf den Stand nebenan, wo dieselben Fischaugen inklusive der zugehörigen Fische viel billiger verkauft wurden. "Du bist ein Betrüger", brüllte er den Hodscha an, doch dieser erwiderte kaltblütig: "Siehst du, meine Fischaugen wirken schon."


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