© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/04 05. März 2004

"Es mag sein, daß es Vetternwirtschaft gegeben hat"
Enteignungen: Stimmungsbericht von einer Podiumsdikussion mit SPD-Landwirtschaftsminister Till Backhaus und ARE-Chef Manfred Graf von Schwerin
Matthias Bäkermann

Natürlich war die Enteignung ein schallendes Unrecht." Der Schweriner Landwirtschaftsminister und mecklenburg-vorpommersche SPD-Vorsitzende Till Backhaus gibt sich verständnisvoll. Im Grundsatz könne er die Enttäuschung der Enteigneten verstehen. "Aber die Bodenreform kann nicht mehr rückgängig gemacht werden." Damit spricht Backhaus genau den Streitpunkt an, welcher die allermeisten der etwa 130 Zuhören im überfüllten Pressezentrum des Nordkurier in Neubrandenburg zum Kommen veranlaßt hatte.

Ursprünglich hatte die Tageszeitung mit dem Verbreitungsgebiet zwischen Rügen, der brandenburgischen Uckermark, Usedom und Müritz-See in ihrer anberaumten Podiumsdiskussion das Thema "Landwirtschaft und ländlicher Raum - Perspektiven, Risiken und Chancen" geplant. Allein die Auswahl der Teilnehmer ließ jedoch die Richtung der Diskussion erahnen. Neben dem exponierten und seitens der Enteignungsgegner oft kritisierten SPD-Politiker Backhaus waren der Vorsitzende der Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum (ARE), Manfred Graf von Schwerin, der Präsident des Landbundes Mecklenburg-Vorpommern Gerd-Heinrich Kröchert und Karl Homer als Vertreter der enteigneten Neusiedlererben geladen.

Auch die Große Kammer wird das Urteil nicht mehr kippen

Als Moderator der Veranstaltung am 26. Februar tritt Nordkurier-Wirtschaftsredakteur Fritz Krüger auf. Genauso polarisierend wie das bestellte Podium ist auch die Zuhörerschaft. Teilweise aus Thüringen oder Niedersachsen weitgereiste Alteigentümer oder Neusiedlererben bilden die Mehrzahl im Auditorium, aber auch viele Anhänger des derzeitigen Status quo geben sich durch eindeutige Sympathiebekundungen zu erkennen. Mit höhnischem Gelächter tuscheln sich zwei Besucher immer wieder zu, wenn die von ihnen so bezeichneten "verarmten Landadeligen" das Wort ergreifen. Einer gibt sich später als Landwirt zu erkennen, der den Boden einer ehemaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) bewirtschaftet. Seine Hektarzahl will er auf Nachfrage lieber nicht nennen. "Wir sind stolz, als Landwirte zu arbeiten. Unter Ihnen wäre ich nicht gern Landarbeiter", greift er den ARE-Vorsitzenden von Schwerin unter Beifall seines direkten Umfeldes in klassenkämpferischer Manier an.

"Wir müssen endlich Ruhe in die Landwirtschaft der neuen Länder und ihre Besitzstrukturen hereinbringen", versucht Backhaus das Ergebnis der nun drohenden Debatte vorwegzunehmen. "Dazu dürfe die Bodenreform nicht angetastet werden." Dagegen hat auch Karl Homer im Grunde nicht einzuwenden, dessen vertretene Neusiedlererben mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ein starkes Argument vorweisen können. Doch die Bodenreform sei seit der Kollektivierung in den fünfziger Jahren gegenstandslos, spätestens dann mit der "schwarzen Enteignung" von 1992. Homer spielt auf das im Straßburger Urteil vom 22. Januar als nicht "angemessen entschädigte" bezeichnete Land der Nutznießer dieser Reform an.

"Da wurde das letzte Wort noch nicht gesprochen", greift der Bauernverbandsvertreter Kröchert in den Disput ein. Moderator Krüger stimmt dem zu und weist auf die am Nachmittag von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) in Straßburg beantragte Verhandlung in nächster Instanz hin, der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofes. Mit Einverständnis der Länderchefs werde versucht, das einstimmige und für die deutschen Instanzen vernichtende Urteil der sieben Richter der Kleinen Kammer umzudrehen. "Doch daß die 17 Richter der Großen Kammer anders stimmen als ihre sieben Kollegen vorher, dürfte doch eher unwahrscheinlich sein", kommentiert Manfred Graf von Schwerin. Er sieht in dem Verfahren nur einen hilflosen Versuch, auf Zeit zu spielen. Der ebenfalls anwesende Prozeßbevollmächtigte der klagenden Neusiedlererben, der Potsdamer Rechtsanwalt Thorsten Purps, verweist zudem darauf, daß mit dem Schritt der Bundesministerin bei der höheren Instanz ein Antrag auf Annahme gestellt wurde - ohnehin nur erfolgreich, falls ein Verfahrensfehler nachzuweisen wäre. Auf die Frage, was die Landesregierungen in den neuen Bundesländern zu tun gedächten, falls auch bei der Großen Kammer in Straßburg das Ergebnis wie von Purps erwartet ausfallen würde, reagiert der mecklenburgische Landwirtschaftsminister irritiert. "Vor Gericht und auf hoher See sind wir alle in Gottes Hand", philosophiert Backhaus.

Dabei droht den Ländern, daß sie für die Entschädigung von 70.000 Grundstückserben und ihren etwa 100.000 Hektar aufkommen müßten. "Und diese hat nicht wie in den vergangenen Wochen behauptet als Geldwertentschädigung zu erfolgen, sondern als Naturalrestitution, bestenfalls mit dem direkt enteigneten Grund und Boden, anderenfalls mit Ersatzflächen", so Purps. Das sei in der Straßburger Urteilsbegründung auch explizit gesagt worden. Die Ministerpräsidenten hatten mit Blick auf ihre leeren Kassen nach dem 22. Januar stets auf die allerletzte Option des Urteils hingewiesen - die milliardenschwere Entschädigung. Sicherheitshalber, das gesteht auch Backhaus zu, wurde allerdings der Verkauf des noch im Landes- oder Bundesbesitz befindlichen Grund und Bodens gestoppt.

Immerhin sind allein in Mecklenburg-Vorpommern noch über 100. 000 Hektar in Staatsbesitz, ein großer Anteil sei allerdings langfristig verpachtet. Nun meldet sich ein Benachteiligter aus dem Publikum zu Wort und verweist darauf, daß sowohl Verkauf wie auch Verpachtung sehr selektiv gehandhabt worden seien. Ehemalige Besitzer oder auch Existenzgründer hätten gegen die bereits existierenden ortsansässigen Großbetriebe keine Chance auf Landerwerb gehabt. Das Versprechen, eine breitere und gerechtere Verteilung zu erwirken, welches Backhaus 1998 auf einem regionalen Bauerntag gegeben habe, sei nicht gehalten worden. "Alle haben nach 1990 Zugang zu den Flächen gehabt", bestreitet Backhaus diese Vorhaltung. Im Saal macht sich nun Empörung breit. Ein Landwirt aus Niedersachsen, dessen Vater der 28 Hektar große Bauernhof 1945 enteignet wurde, ist außer sich: "Diese Landverteilungspolitik ist pervers". Der Vertreter des Deutschen Bauernverbandes heizt die Diskussion weiter auf. "Wer von den Enteigneten 1945 weniger als 100 Hektar hatte, war entweder Nazi oder Kriegsverbrecher", rechtfertigt Kröchert die Politik der sowjetischen Besatzungsmacht und gießt damit weiteres Öl in Feuer.

Nun greift Fritz Krüger ein, um einen drohenden Eklat zu verhindern. Sein Versuch, die Diskussion auf andere Felder der Landwirtschaftspolitik zu steuern, hat aber wenig Erfolg. Zum merklichen Unbehagen des Redakteurs wird nun die erregte Debatte auf den pikantesten Streitpunkt des Abends gelenkt. Der Neusiedlererbe und ehemalige Leiter des Amtes für Flurerneuerung und ländliche Entwicklung in Fürstenwalde, Karl Homer, geht auf die Entwicklung direkt nach der Wende ein: "Wer einen Volkseigenen Betrieb (VEB) nach 1990 gekauft hat, hat beschissen."

Von verschiedenen Seiten findet Homers rustikale Aussage Zustimmung in Form spontanen Applauses. Nun wird auch der frühere Volkskammerabgeordnete Till Backhaus nervös. "Es mag sein, daß es Vetternwirtschaft gegeben hat", beschwichtigt der SPD-Politiker. Insbesondere frühere SED-Kader und auch die "Blockflöten von der CDU" hätten vieles zum eigenen Vorteil gelenkt. Im Publikum läßt die Vizepräsidentin des Schweriner Landtages, Renate Holznagel (CDU) - gleichzeitig Fraktionssprecherin für Agrarpolitik -, mutlos ihr eben noch aufgeregt zur Wortmeldung zurecht gelegtes Thesenpapier wieder sinken.

Die politische Verantwortung wird am Ende abgestritten

Der Ex-LPG-Leiter Backhaus verweist darauf, daß er erst 1998 politische Verantwortung übernommen habe. Zuvor sei der CDU-Mann Martin Brick zwei Legislaturperioden für die Politik verantwortlich gewesen. Die wie ein Hilferuf vorgetragene Klage eines Bürgermeisters aus Vorpommern geht im Laufe dieser Schuldzuweisung fast unter. Sein kleiner 300-Seelen-Ort sei durch die Großbetriebe der "Wendejunker" ringsum wie abgeschnürt. Niemand habe so die Möglichkeit, irgendwelche anderen Strukturen etablieren, und nur wenige im Dorf seien im Ackerbau der Agrarfabriken beschäftigt.

Doch Krüger und Backhaus haben sich bereits zugenickt und das Ende der Veranstaltung abgestimmt. Richtig zufrieden ist kaum jemand. Viele Alteigentümer und Neusiedlererben verlassen wortlos die Veranstaltung. Nur Minister Backhaus ist erleichtert. Selbst für ein Plausch mit seinen Kontrahenten auf dem Podium ist noch Zeit. Vizepräsidentin Holznagel hat sich doch nicht mehr zu Wort gemeldet und ist unbemerkt gegangen. Einzig den schon vorher gut gestimmten LPG-Bauern wurde die Laune nicht verdorben. Feixend blicken sie dem abrückenden Troß hinterher.

Foto: Till Backhaus vor dem Gemälde eines Bauernmarktes: Naturalrestitution vor Geldwertentschädigung


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