© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/04 05. März 2004

Einer, der Flagge zeigt
Konservativer Denker: Der Politikwissenschaftler Klaus Motschmann feiert seinen 70. Geburtstag / Sein Leben lang war er ein unverbesserlicher Optimist
Manuel Ochsenreiter / Thorsten Thaler

Das erste, worauf der Blick fällt, wenn man sich zum verabredeten Gespräch in der Wohnung von Klaus Motschmann einfindet, ist - Karl Marx. Direkt neben der in blaues Leinen gebundenen Gesamtausgabe der Werke von Marx und Engels stehen 45 Bände Lenin und 10 Bände Stalin. Dazu gesellen sich jeweils mehrbändige Ausgaben mit Reden und Texten von Clara Zetkin, Rosa Luxemburg, Walter Ulbricht, Erich Honecker sowie die Werkausgabe in 40 Bänden des marxistischen Vorzeigetheoretikers Jürgen Kuczynski. Ebenso staunend wie ratlos stehen die JF-Redakteure vor der Bücherwand, die bis unter die Decke reicht. Mit allem hätte man gerechnet, keineswegs aber mit dieser geballten Ladung kommunistischer Literatur.

"Den Großteil davon habe ich vom Zwangsumtausch bei meinen Besuchen in der DDR gekauft", erklärt der Hausherr, greift ins Regal und zieht ein kleines Büchlein aus den sechziger Jahren mit dem Statut der SED heraus. Gleich darauf präsentiert er ein Handbuch mit den Fotos und Lebensläufen der Abgeordneten der ersten Volkskammer. Als er damit den Grenzübergang passieren wollte, hätten ihn die Volkspolizisten sichtbar mißtrauisch gefragt, was er mit den Büchern vorhabe: "Lesen", lautete Motschmanns lapidare Antwort.

Tatsächlich hat sich Klaus Motschmann ein Leben lang mit marxistischer Ideologie, kommunistischen Theorien und sozialistischer Realpolitik beschäftigt und zu den Themenkreisen einige Bücher veröffentlicht. Das Interesse daran führt er nicht zuletzt auf seine biographische Herkunft zurück. Am 4. März 1934 in Berlin zur Welt gekommen, verschlug es die Familie - er hat noch zwei Geschwister - in den Kriegswirren 1943 nach Petershagen, einem kleinen Ort bei Straußberg. Im Jahr zuvor war der Vater, ein AEG-Ingenieur, gestorben, und die Mutter mußte sich mit den Kindern allein durchschlagen. In Petershagen verlebte Klaus Motschmann seine Jugend, die bestimmt war vom Kriegsende, der Teilung Deutschlands und seiner Heimatstadt Berlin, schließlich der Gründung der Bundesrepublik und der DDR. Nach dem Kriege heiratete seine Mutter einen Landpfarrer in der Altmark, der ihn und seine beiden Brüder nachhaltig prägte.

"Es war eine Zeit massiver politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen", erinnert er sich im Gespräch bei Kaffee und Kuchen. "Besonders schlimm waren die Drangsalierungen der Bauern im Zuge der sogenannten Bodenreform, die Verhaftungen vermeintlicher Saboteure und Agenten des Westens und der früh einsetzende Kampf der SED gegen die Kirchen", erklärt Motschmann. Als bekennender Christ sei man zunehmend Schikanen und Einschüchterungsversuchen ausgesetzt gewesen.

Nach dem Abitur 1952 studierte Motschmann Theologie zunächst an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin, dann ab Oktober 1954 an der Kirchlichen Hochschule im Westteil der Stadt. "Die brutale Niederschlagung des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 durch das sowjetische Militär hat mir endgültig die Augen geöffnet", erläutert Motschmann. "Danach war mir klar, wer in der DDR wirklich das Sagen hat und den Kurs bestimmt." Seine Exmatrikulation im September 1954 wegen eines nicht bestandenen Graecums beförderte schließlich den Entschluß, das Studium in West-Berlin fortzusetzen. Dort widmete er sich neben der Theologie auch der Neuen Geschichte und der Politikwissenschaft. Nach dem Examen arbeitete er als Assistent von Walter Bußmann am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. 1969 promovierte er bei dem Historiker Bußmann und dem linken Theologen Helmut Gollwitzer mit einer Arbeit über "Staat und Kirche in Preußen in den Anfangsjahren der Weimarer Republik". Von 1971 bis zu seiner Emeritierung lehrte er Politikwissenschaften an der Berliner Hochschule der Künste.

Dazwischen liegen die politisch aufrüttelnden Jahre des Chruschtschow-Ultimatums, der Kampagne gegen den Berliner Bischof Otto Dibelius wegen dessen Schrift "Obrigkeit?", der Vertiefung der Spaltung Deutschlands und des Mauerbaus sowie der heraufziehenden Ideologisierung der Evangelischen Kirche und der Hochschulen.

Motschmann bleibt angesichts solcher Entwicklungen nicht untätig. Unmittelbar nach der Gründung 1967 begann er sich in der Evangelischen Notgemeinschaft in Deutschland zu engagieren, einem Verband konservativer Protestanten. Er wird Schriftleiter bei deren Zeitschrift Erneuerung und Abwehr - eine Funktion, die er bis 2001 innehat. Außerdem engagiert er sich ab 1968 in der Notgemeinschaft für eine freie Universität (Nofu). Bis zur Fusion mit Criticón war Motschmann auch Schriftleiter der Zeitschrift Konservativ heute, danach Berliner Redaktionsleiter von Criticón, als es unter Caspar von Schrenck-Notzing noch ein konservatives Theorieorgan war. Später wird er Stammautor und Kolumnist bei der JUNGEN FREIHEIT.

Parteipolitisch war er zwischen 1961 und 1987 in der Berliner CDU beheimatet. Anlaß für den Eintritt war der Bau der Mauer. "Das war meine Antwort darauf", sagt Motschmann. In der Union fühlt er sich "wegen ihrer Drängelei zur Mitte und ihrer weitgehenden Preisgabe christlich-konservativer Positionen" nicht mehr zu Hause. Im Jahr 2002 zeigt er abermals Flagge. Motschmann veröffentlicht mit 21 anderen Professoren eine Erklärung, in der sie sich offensiv gegen praktizierende Homosexuelle im Pfarramt wenden.

Von linksradikaler Seite blieb Motsch-manns Engagement nicht unbemerkt. Unzählbar sind die Kampagnen gegen ihn, die von Protestveranstaltungen an der Universität bis zu "Fahndungsplakaten" in seiner Wohngegend reichen. Doch an Motschmann perlten solche Aktionen ab. "Im Gegenteil, solche Dinge motivierten mich erst recht!" Motschmann lacht. Er ist ein Optimist.

Genau das macht den "konservativen Denker" (idea-Spektrum) Motschmann aus - zuerst schleift er seinen Gesprächspartner durch niederschmetternde Lageanalysen und hoffnungslose Situationsbeschreibungen, um schlußendlich doch bei einem optimistischen "Mit Gottvertrauen richtet sich alles wieder" anzukommen. Auf ihn trifft Oswald Spenglers Ausspruch "Optimismus ist Feigheit" gewiß nicht zu. Denn Motschmann verkennt die aktuelle Situation eben gerade nicht. Dies zeigt er nicht zuletzt in seinen regelmäßigen Beiträgen für diese Zeitung.


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