© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/04 12. März 2004

Wir haben ihn verdient
Bundespräsidentenwahl: Niemand kennt den Kandidaten von Union und FDP / Die Debatte spiegelt den Machtkampf innerhalb der Opposition wider
Paul Rosen

Seitdem der römische Kaiser Caligula ein Pferd zum Konsul machte, hat kaum eine Entscheidung solche Verwunderung hervorgerufen wie der Beschluß von Union und FDP, den 61jährigen deutschen Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), Horst Köhler, zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten zu nominieren. Selten wurde die Regierungs- und Entscheidungsunfähigkeit der Bürgerlichen in Deutschland besser dokumentiert als durch die Verlegenheitslösung Köhler.

Wer den promovierten Volkswirt kennt, erinnert sich mit Grausen an Bonner Tage. Dort war Köhler von 1990 bis 1993 Staatssekretär beim damaligen Finanzminister Theo Waigel (CSU). Köhler galt als cholerisch und unberechenbar. Dem früheren Redenschreiber des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Gerhard Stoltenberg (CDU) war das Amt offenbar zu Kopfe gestiegen. Als sogenannter "Sherpa" von Bundeskanzler Helmut Kohl hatte er internationale Termine für den Kanzler vorzubereiten, darunter die G7-Wirtschaftsgipfel in Houston (1990), London (1991), München (1992) und Tokio (1993). Aus privaten Gründen setzte sich Köhler aus Bonn ab, wurde in Berlin Chef des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (1993 bis 1998) und entschwand im September 1998 nach Washington, wo er die Geschäfte des Internationalen Währungsfonds führte.

Jetzt ist Köhler wieder da, und CDU-Chefin Angela Merkel meint, das sei gut so. Der Kandidat, mit dem Union und FDP am 23. Mai beweisen wollen, daß nach der Wahl des Bundespräsidenten als nächster Schritt der Machtwechsel im Kanzleramt bevorsteht, empfahl sich eilfertigst der Regierung: Die Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder sei gut. Vielleicht gehe sie aber nicht weit genug. Im übrigen wolle er der Präsident aller Deutschen sein, und könne mit den Reden vom Signal für einen Regierungswechsel in Berlin nichts anfangen.

Die Spitzen von Union und FDP staunten nicht schlecht ob der Worte ihres Kandidaten. Aber damit muß man rechnen, wenn zu Verlegenheitslösungen gegriffen wird. Die Frage der Bild-Zeitung "Horst - wer?" hätte ebensogut im CDU- oder FDP-Präsidium gestellt werden können. Kaum jemand kannte ihn. Die Frage ist, wie es so weit kommen konnte. Und da ist man schnell bei einer alten Antwort: Das Führungsproblem in der Union ist nach wie vor nicht gelöst.

Mit der Hamburg-Wahl hatte Schäuble verloren

Die CSU hatte den früheren CDU-Chef Wolfgang Schäuble empfohlen, um eine Nominierung ihres Chefs Edmund Stoiber zu verhindern. Stoiber will immer noch Kanzler werden. Allerdings war die CSU clever genug, eine Hintertür offenzulassen, um den Kandidaten Schäuble rechtzeitig fallenlassen zu können. Merkel mochte sich nicht festlegen, sondern testete einen Namen nach dem anderen: Ex-Umweltminister Klaus Töpfer und die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan wurden genannt.

Die CDU-Chefin wurde getrieben, in erster Linie von ihren Widersachern Friedrich Merz und Roland Koch. Die warben ständig für Schäuble, wohl wissend, daß öffentliche Vorfestlegungen der FDP, auf deren Stimmen man angewiesen ist, das Leben immer schwerer machten.

Der von Merkel gestürzte frühere Fraktionschef Merz und der hessische Ministerpräsident Koch hatten allerdings weniger Schäuble im Sinn, sondern wollten ihrer Chefin ein Bein stellen. Würde Schäuble Kandidat, hätten sie sich durchgesetzt, wenn nicht, wäre die Kakophonie in der CDU Beweis genug, daß Helmut Kohl doch recht hatte: "Die kann es nicht", soll der Altkanzler über Merkel gesagt haben.

Fehler machte die CDU-Chefin schon vor dem Drama, als sie bei der Hamburg-Wahl ihren Statthalter Ole von Beust in den Kampf um die absolute Mehrheit schickte, statt einen Koalitionswahlkampf zugunsten der FDP zu führen und den Liberalen damit im Super-Wahljahr 2004 wenigstens zu einem Erfolg zu verhelfen. Seit der Niederlage in Hamburg stand FDP-Chef Guido Westerwelle unter Druck: Er mußte einen Erfolg vorweisen können, und sei es die Nachricht, Schäuble verhindert zu haben.

So stand für Kenner der Szene am Tag nach der Hamburg-Wahl fest, daß Schäuble verloren hatte, auch wenn die CSU Meldungen an die Nachrichtenagenturen lancierte, Merkel und Stoiber hätten sich auf Schäuble geeinigt. Das war so nicht richtig, aber die Veröffentlichung legte Merkel auf Schäuble und die FDP endgültig auf Ablehnung fest. Auch ein Dementi half der CDU-Chefin nicht mehr.

Am Dienstag trafen sich Merkel, Stoiber und Westerwelle in Berlin. Westerwelle blockierte. Am Mittwoch saßen die Präsidien der drei bürgerlichen Parteien in getrennten Sitzungen. Während bei CSU und FDP ruhige Schadenfreude über Merkel herrschte, stritten sich die CDU-Granden um Schäuble. Am Ende war die CDU für Töpfer oder Schavan, was Westerwelle und Stoiber der CDU-Chefin noch in der Nacht ausredeten. Stoiber, Westerwelle, Merz und Koch hatten Frau Merkel zu einer Lösung gezwungen, die auf die CDU-Chefin zurückfällt: Köhler ist schließlich CDU-Mann. Das Präsidentenamt und die Person Schäuble war diesen Strategen egal, ihnen ging es nur um die Verbesserung der eigenen Machtposition und die Schwächung der CDU-Chefin.

So haben wir jetzt den Kandidaten Köhler. Bei dem Zustand seiner politischen Klasse hat Deutschland auch keinen anderen verdient.


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