© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/04 19. März 2004

BLICK NACH OSTEN
Holbrookes Einsichten
Carl Gustaf Ströhm

Der ehemalige Balkan-Chefunterhändler Richard Holbrooke ließ dieser Tage eine diplomatische Bombe platzen. Wie der Belgrader Sender B-92 meldete, sprach sich der einflußreiche US-Spitzendiplomat dafür aus, die staatliche Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen, das formell noch immer ein Teil Serbiens ist. Das historisch zu Serbien gehörende, inzwischen aber von einer überwältigenden albanischen Mehrheit besiedelte Amselfeld war bisher für die westliche Politik jene "heiße Kartoffel", die man am liebsten auf ewige Zeiten in der Schwebe gelassen hätte.

Von westlicher Seite gab es hier zwei einander ausschließende Positionen: einmal die These von Serbien als einer historischen "Ordnungsmacht" auf dem Balkan, die dazu noch in zwei Weltkriegen auf der "richtigen" Seite gekämpft habe. Auf der anderen Seite stand das Selbstbestimmungsrecht für die Kosovo-Albaner, die sich unglücklicherweise zweimal auf die Verlierer verlassen hatten - im Ersten Weltkrieg auf die Mittelmächte, im Zweiten wieder auf die Deutschen, speziell nach der Kapitulation Italiens 1943. Heute aber träumt man weniger von einem "Groß-Albanien", denn unter den Kosovaren hat sich längst herumgesprochen, daß man auch sehr gut auf eigenen Beinen stehen kann. Holbrooke hinterfragt, ob es sinnvoll ist, die eingefahrene pro-serbische Linie der westlichen Politik weiterzuführen.

Bisher waren die Amerikaner unentschlossen, ob sie der britisch-französischen "serbophilen" Linie folgen sollten. Um so überraschender ist der Schwenk Holbrookes, der sich in seiner aktiven Balkanzeit (1995/1998) niemals so weit aus dem Fenster gelehnt hat. Jetzt fordert er, daß der Westen nicht nur den Kosovo-Albanern die volle staatliche Unabhängigkeit gewähren soll.

Darüber hinaus hält Holbrooke auch nichts vom "Staatenbund Serbien-Montenegro" - mit dem der letzte Rest der jugoslawischen Einheitsidee gewissermaßen für die Zukunft gerettet werden soll. Er bezeichnet dies als "Scheidung einer Zwangsehe". In der nahen Zukunft, so Holbrooke, werde es auf dem Balkan - anstatt wie jetzt fünf - sieben voneinander unabhängige Staaten geben. Serbien müsse begreifen, daß es die Provinz Kosovo in die Unabhängigkeit entlassen müsse. Doch eine "Republik Kosovo" hätte es trotz gewisser natürlicher Vorteile (Buntmetallminen wie jene in Trepca) nicht leicht. Die Albaner haben sich zudem den Ruf eingehandelt, mafiöse Geschäfte zu betreiben.

Washington hat nun offenbar den Glauben daran verloren, daß man das Balkan-Problem über Belgrad lösen könne. Zieht man die geopolitischen Linien weiter, dann könnte sich Washington für eine strategische Linie interessieren, die von Kroatien über Montenegro und Kosovo über die Türkei ans Kaspische Meer und Zentralasien führt.

Als ich 1978 bei einer Reise durch das südliche Serbien in die historische Kosovo-Stadt Prizren kam und dort Fotos vom malerischen Bauernmarkt machte, herrschten mich einige junge Leute an: "Was fotografierst du hier häßliche Dinge? Hau ab in dein Serbien." Ich antwortete damals, ich sei ein deutscher Journalist. Schlagartig verwandelte sich die Atmosphäre, und der Sprecher der jungen Leute sagte: "Ja, wenn du ein Deutscher bist, darfst du bei uns fotografieren, soviel du willst." Und fügte hinzu: "Wir Kosovo-Albaner haben nur zwei Freunde auf der Welt - die Deutschen und die Österreicher." Leider haben die Deutschen das vergessen.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen