© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/04 26. März 2004

Das Vaterland tapfer verteidigt
Finnland: Staatsbegräbnis für einen General / Ungelöste Fragen der Kriegsgeschichte sollen aufgeklärt werden
Meinhard von Ow

Im EU-Musterland Finnland, an dessen Staatsspitze mit Tarja Halonen eine linke Sozialdemokratin steht, kommt ein Staatsbegräbnis nicht alle Tage vor - schon gar nicht, wenn es einem General gilt, der weder Oberbefehlshaber und Staatspräsident wie Carl Gustaf Emil Mannerheim noch wenigstens Minister war.

Doch am 26. Februar ist General Adolf Erik Ehrnrooth im Alter von 99 Jahren verstorben - und eine Woche später beschloß das Parlament, dem hochdekorierten Militärführer und Weltkriegsveteran diese außergewöhnliche Ehre zu erweisen. Für das Staatsbegräbnis mit allen militärischen Ehren setzte man - nicht ohne Hintersinn - den 13. März fest: Es ist in Finnland der Tag der schweigenden Trauer wegen des Friedensvertrages von 1940 mit der Sowjetunion, dessen auch heute noch alljährlich gedacht wird.

Finnland mit seinen etwa vier Millionen Einwohnern hatte den von Moskau provozierten Winterkrieg 1939/40 ehrenvoll verloren und dabei der Roten Armee die Grenzen ihrer Macht gezeigt. Das Schicksal der unzähligen von den Sowjets verschleppten Balten blieb Finnland zwar erspart - Karelien und Viipuri (Wyborg) fielen jedoch dauerhaft an Rußland.

Pünktlich um zehn Uhr begann in der Domkirche zu Helsinki der feierliche Trauergottesdienst, zelebriert vom Erzbischof. Der Dom war gefüllt mit Mitgliedern der Regierung, den Spitzen der Politik und des öffentlichen Lebens und Bürgern, die noch Platz gefunden hatten. In der Kirche erfolgten auch die feierlichen Kranzniederlegungen am Sarg des Toten. Nach dem Gottesdienst begleitete der Trauerzug den Toten zum Helsinkier Ehrenfriedhof für die Gefallenen des Krieges mit dem Grabdenkmal des Marschalls Mannerheim, auf dem nun auch General Ehrnrooth seine letzte Ruhe fand.

Die ungewöhnliche Beliebtheit des hochdekorierten Generals beruhte nicht nur auf seinen Verdiensten im Zweiten Weltkrieg, in dem er als Offizier an der Front stand - und 1944 den drohenden Durchbruch der weit überlegenen Roten Armee von der karelischen Landenge nach Südfinnland mitverhinderte.

Nach dem Krieg als General und im Ruhestand sah Ehrnrooth seine Aufgabe darin - als Angehöriger des Landadels und der häufig benachteiligten schwedischen Minderheit (etwa sechs Prozent) -, die Nation weiter zu einigen. Bekannt wurde der Patriot durch seine vielen Vorträge vor allem vor Schulklassen und jungen Menschen, in denen er sich zur finnischen Entscheidung zum Widerstand gegen den sowjetischen Überfall bekannte, die in den siebziger Jahren in linken Kreisen kritisch gesehen wurde. Zudem war Finnland seit 1948 mit der Sowjetunion durch einen "Freundschafts- und Beistandspakt" zwangsweise "verbündet", der den politischen Handlungsspielraum bis 1990 enorm einengte.

Um zu zeigen, wie notwendig die Bewahrung des Friedens auch durch die Sicherung der Verteidigungsbereitschaft war, verschwieg Ehrnrooth aber auch nicht die Schrecken des Krieges, die finnische Soldaten erlebten, wenn sie gezwungen waren, die über Schnee- und Eisflächen anstürmenden Massen der sowjetischen Soldaten reihenweise niederzumähen. Ehrnrooth war ein beliebter Gast bei den Staatspräsidenten und Politikern der verschiedenen Parteien und trat für Elisabeth Rehn - die als erste Frau das Verteidigungsministerium übernahm - mit den Worten ein: "Laßt das Mädchen es doch versuchen".

Der Patriotismus der meisten Finnen hindert sie heute nicht, auch nach "dunklen Flecken" der Geschichte zu fragen. 1941 traten die Finnen im sogenannten Fortsetzungskrieg als "Waffenbrüder" auf der Seite des Deutschen Reiches in den Krieg gegen die Sowjetunion ein. Truppen von Wehrmacht und Waffen-SS übernahmen die Frontabschnitte im Norden des Landes.

Befürchtungen, Berlin würde ein Vorgehen der finnischen Regierung gegen die Juden fordern, bewahrheiteten sich aber nicht. Schließlich wußte man in Deutschland, daß ein Druck auf seine 1.700 jüdischen Staatsbürger die Zusammenarbeit aufs Spiel gesetzt hätte. Selbst der Reichsführer SS Heinrich Himmler zeigte sich bei seinem Besuch im Juli 1942 von einer konzilianten Seite und ging nicht weiter auf dieses Thema ein, als ihm der damalige finnische Ministerpräsident Johan Rangell versicherte, Finnlands Juden kämen aus anständigen Familien, ihre Söhne würden wie alle Finnen ihr Vaterland verteidigen und ihre Töchter als "Lottas" weibliche Hilfsdienste leisten.

Die Wehrmachtssoldaten machten keinen Unterschied zwischen finnischen und jüdischen Soldaten. 23 jüdische Soldaten fielen für ihr finnisches Vaterland. Ein Kriegerdenkmal in Helsinki, auf dem das Schwert der Armee und der Stern der Juden angebracht ist, und eine ,,Gesellschaft der jüdischen Veteranen" halten ihre Erinnerung wach.

Erst als bei Kriegsende in Finnland der Holocaust und sein volles Ausmaß bekannt wurden, fiel ein dunkler Schatten auf die ehemalige Waffenbrüderschaft. Und ein dunkler Flecken bleibt: Die finnische Staatspolizei lieferte im Oktober 1942 acht Juden an die Gestapo im deutsch besetzten Estland aus. Sie gehörten zu den etwa 150 jüdischen Flüchtlingen mit fremder Staatsangehörigkeit, die in Finnland Asyl gefunden hatten. Die acht befanden sich unter der Anklage von Straftaten oder Spionage in einem Arbeitslager. Die Gestapo brachte sie von Estland aus in das KZ Auschwitz-Birkenau. Einer von ihnen, Georg Vollmann aus Österreich, wanderte nach dem Krieg nach Israel aus.

Die Nacht-und-Nebelaktion der Staatspolizei wurde über die Jüdische Gemeinde in Helsinki bekannt. Die von starken Emotionen geprägte Diskussion in der Regierung und in der Presse verhinderte weitere Ausweisungen. 110 der jüdischen Flüchtlinge erhielten deshalb zu ihrem Schutz die finnische Staatsbürgerschaft. Vorsorglich erreichte die Jüdische Gemeinde 1942 die Errichtung eines eigenen Lagers für jüdische Kriegsgefangene, soweit sie nicht Offiziersrang hatten. Sie unterstützte diese Gefangenen mit Lebensmitteln und sorgte für ihre religiöse Betreuung. Die Auslieferung der acht Juden bedeutet für Finnland bis heute einen Makel in seiner Geschichte, für den sich Ministerpräsident Paavo Lipponen im Jahr 2000 bei der Jüdischen Gemeinde entschuldigt hat.

Ende letzten Jahres hat die Autorin Elina Sana mit ihrer Behauptung, Finnland hätte 1941 142.2 900 Kriegsgefangene, darunter 70 Juden, an die Gestapo ausgeliefert, auch in Deutschland Aufsehen erregt. Da die notwendigen Beweise fehlen, hat der finnische Ministerpräsident Olen Matti Vanhanen den bekannten Historiker Heikki Ylikangas mit der Untersuchung der Vorwürfe beauftragt.

Ylikangas bestätigte die bekannte Tatsache, in Finnland habe während des Krieges ein Austausch von etwa 2.900 Kriegsgefangenen stattgefunden: Deutschstämmige und Russen, die auf die deutsche Seite wechseln wollten gegen Gefangene finnisch-ugrischer Ethnien, die nach Finnland wollten. Er schätzt, daß etwa 2.000 an Deutschland Übergebene dort registriert wurden.

Das Schicksal der übrigen bleibe ein "Mysterium" und müsse weiter untersucht werden - ebenso wie das Schicksal der etwa 100.000 in die Sowjetunion zurückgeschickten Zivilisten und Soldaten. Niemand sei jedoch ausgeliefert worden, nur weil er Jude war. 16.000 der russischen Gefangenen hätten auf finnischer und deutscher Seite freiwillig gegen die Sowjetunion gekämpft. Finnland ging und geht mit seinen Soldaten eben anders um als Deutschland.


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