© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/04 02. April 2004

Die christliche Provokation
Der Kinofilm "Passion Christi" löst in Europa einen regelrechten Kulturkampf aus
Christian Vollradt / Dieter Stein

Ein kulturelles Erdbeben hat der in Etappen europaweit startende Film "Die Passion Christi" ausgelöst: "Die Aufregung um Mel Gibsons Passionsfilm schraubt sich zu immer neuen Höhen empor" (FAZ). Der Kinostart in Frankreich am 31. März wurde begleitet von lärmendem Protest. "Für mich ist 'Passion' ein faschistischer Propaganda-Film", sagt der Chef der französischen Kino-Kette MK2, Marin Karmitz, der auch Präsident des französischen Verbandes der Filmverleiher ist. Deshalb werde Mel Gibsons umstrittener Film nicht in seinen Kinos laufen. Dennoch startete der Film bei einem Konkurenten landesweit mit 480 Kopien.

Irritiert und entsetzt blicken Vertreter der Kirchen in Deutschland auf die Faszination und Empörung, die der Film ausgelöst hat und der das Christentum aus einem Dornröschenschlaf zu wecken scheint. Fassunglos ist jedoch eine religionsferne politisch-kulturelle Klasse über ein mögliches christliches Rollback, das dieser Film anstoßen könnte.

Die fast einhellige Verdammung des Werkes in den veröffentlichten Kritiken legt den Schluß nahe, daß dieser Film nicht gut gefunden werden kann. Nicht die Tatsache, daß das Werk überwiegend verrissen wird, sondern die Hysterie, mit der dies geschieht, sollte nachdenklich stimmen.

Symptomatisch für diese Empörung ist das Feuilleton der Wochenzeitung Die Zeit, die an der Spitze der Kampagne gegen den Gibson-Film steht. Pornographisch sei die Darstellung des Leidens Jesu, so befindet allen Ernstes Feuilletonchef Jens Jessen, der Film zeige "die Geburt des Fanatismus aus dem Geist des christlichen Fundamentalismus", er predige eine Botschaft des Hasses, die jener islamistischer Selbstmordattentäter nicht unähnlich sei.

Daß sonst so intelligente Autoren wie Jessen sich angesichts dieses Kinofilms in Verdammung überschlagen (er bezeichnet den Film als "Splatter-Movie", "christliche Pornografie" und "Frohe Botschaft für die S/M-Szene von Los Angeles") zeigt, daß es in Wahrheit um die Unverschämtheit Mel Gibsons geht, mit diesem Film christliche Religiosität in die Offensive zu führen.

In der vergangenen Woche nun durfte im selben Blatt der amerikanische Publizist Daniel Goldhagen (jüngstes Werk: "Die katholische Kirche und der Holocaust") behaupten: "Durch Mel Gibsons Film scheint nun eine offene Diskussion über die schrecklichen Kreuzigungsbilder nicht nur zulässig, sondern moralisch unumgänglich. Er nimmt die Fetischisierung von Grauen und Tod, die innerhalb des Christentums existiert, und zieht daraus eine krankhaft logische Schlußfolgerung. Optisch und symbolisch ist Gibsons Passion Christi eine sadomasochistische, orgiastische Schaustellung, welche die Juden in dem Maße dämonisiert, wie sie die Betrachter erniedrigt, die sich an den Schreckensbildern ergötzen."

Damit ist die Katze aus dem Sack. Inzwischen wird also endgültig nicht mehr der Film kritisiert, sondern im Kern die Botschaft des Neuen Testamentes, auf das sich das Christentum gründet.

Daß Goldhagen in seiner Kritik an Gibsons Werk - ein "Fehdehandschuh gegen das progressive Christentum" - angesichts solcher Anleihen an die Kreuzestheologie von einem geschmacklosen "Todeskult" des Christentums spricht und diesem eine "Fetischisierung von Grauen und Tod" attestiert, verwundert nicht. Immerhin ist er im Gegensatz zu den christlichen Kritikern so konsequent, nicht allein den Film zu verdammen, sondern gleich auch die Säuberung der Evangelien zu fordern. So weit gehen andere zwar nicht, implizieren jedoch Ähnliches: Das Christentum muß seine fragwürdige Vergangenheit bewältigen. Oder überspitzt gefragt: Darf es nach Auschwitz noch Golgatha geben?

"Die Passion Christi" erzählt mit den Mitteln moderner Filmkunst die Geschichte des Leidensweges Jesu auf der Grundlage der Evangelien aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert. Darin liegt die Dialektik des Films. Gibson hat seinem Opus nicht die Ergebnisse der historisch-kritischen Methode unterlegt, sondern im Einverständnis mit der Tradition der Texte dieselben in seine Bildsprache übersetzt. Das wirkt offensichtlich verstörend.

Die bis an die Schmerzgrenze der Zuschauer (und zum Teil über sie hinaus) getriebene Darstellung der Gewalt an Jesus ist letztendlich nicht um ihrer selbst willen betrieben, nicht allein zur realistischen Veranschaulichung vonnöten, sondern hat symbolischen Gehalt. Das nicht zu ertragende Leid soll für heutige Betrachter erlebbar gemacht werden und entspringt einer klaren christlichen Botschaft: Die Strafe, die der Schuldlose erleidet, gilt mir; ich habe sie verdient. Und andererseits: "Christi Blut - für mich vergossen!" Sein Leiden ist die Voraussetzung für meine Erlösung.

Nicht ohne Grund erregt gerade die filmische Dauerpräsenz von Fleisch und Blut Jesu in besonderem Maße die überwiegend säkular gesinnten Kritiker. Gibsons Film nimmt mit Rückblenden auf das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern die Verbindung zu den Einsetzungsworten des christlichen Abendmahls auf und vergegenwärtigt, was aus unseren - zumindest evangelischen - Gottesdiensten weitgehend verbannt ist: Daß auch laut den Bekenntnissen der lutherischen Kirchen "wahrer Leib und Blut Christi wahrhaftiglich unter der Gestalt des Brots und Weins im Abendmahl gegenwärtig sei", daß darin das innerprotestantische Schisma mit den Reformierten begründet liegt, ist in den heutigen Gemeinden nicht selten mittels Traubensaft und Toastbrot zum bloß "symbolisch Gemeinten" hinlänglich profanisiert worden. Damit ist Gibsons Film eine Provokation gegen ein entkerntes Christentum, das die Bibel am liebsten zu einem sozialdemokratischen Ethik-Ratgeber transformieren will.

In Gibsons Film tritt kein um Konsens bemühter Wohlfühl-Jesus auf. Es herrscht der krasse Gegensatz zwischen denen, die "in der Welt bleiben" und denen, die "in Christus bleiben". So wie es richtig ist, daß Gott in Christus Mensch geworden ist, um die Welt zu retten, steht eben auch fest: "Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf" (Joh 1,11). Von ihren Sünden entsühnt sind nur die "Freunde" (Joh 15,13-15), die an den Herrn glauben. Glaube und Erlösung sind eben nicht zum Nulltarif zu haben.

"Die Passion Christi": Fehdehandschuh gegen progressives Christentum


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