© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/04 02. April 2004

Die Modenschau vor dem Tabernakel
Heilige Räume: In Deutschland sind immer mehr Kirchen von Verkauf oder Abriß bedroht
Thorsten Thaler

Sinkende Mitgliederzahlen, finanzielle Sorgen, verfallende Gotteshäuser - die Liste der Probleme, mit denen sich die beiden großen christlichen Amtskirchen in Deutschland herumplagen, ist wahrlich lang. Daß in dieser Situation sowohl die Evangelische als auch die Katholische Kirche mit dem Gedanken spielen, Gotteshäuser zu verkaufen oder abzureißen, mag aus ökonomischer Sicht verständlich sein. Trotzdem ist es grundfalsch.

Deswegen mußten dieser Tage Meldungen nicht nur Mitglieder der beiden Volkskirchen beunruhigen. In Berlin will das Erzbistum die Tempelhofer Kirche St. Johannes Capistran als erste von sechs katholischen Kirchen verkaufen - voraussichtlich noch vor Ostern. "Wir haben einen Interessenten", bestätigte Erzbistumssprecher Stefan Förner. Das hochverschuldete Erzbistum - von 100 Millionen Euro ist die Rede - erhofft sich durch den Verkauf der Kirche und vor allem der angrenzenden Grundstücke eine Summe von mehreren Millionen Euro. Andernorts sieht es nicht besser aus: In Frankfurt am Main tobt seit Jahren der Streit um einen möglichen Verkauf der im Bahnhofsviertel gelegenen Matthäuskirche. Und im Rheinland will die evangelische Kirchengemeinde Brühl ihr Gotteshaus im Bornheimer Ortsteil schließen und verkaufen, sogar ein Abriß ist im Gespräch.

Doch warum sollte hierzulande für Aufregung sorgen, was zum Beispiel in den Niederlanden gang und gäbe ist? Dort sind in den letzten zehn Jahren Hunderte von Kirchen veräußert worden, an Supermarktketten ebenso wie an Diskothekenbetreiber. Warum sollte es uns bekümmern, wenn in Kirchen (was ja schon heute der Fall ist) Modenschauen oder Kultur-"Events" stattfinden?

Die Antwort ist einfach: Kirchen sind heilige Räume. In einer profaner werdenden Welt sind sie die letzten Refugien der Transzendenz und Einkehr. Ihr Fehlen werden nicht nur Kirchenangehörige schmerzlich bemerken.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen