© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/04 09. April 2004

Man kennt sich, man hilft sich
Köln: Im größten deutschen Korruptionsprozeß sind Unklarheiten an der Tagesordnung / Die drei Angeklagten können auf milde Strafen hoffen
Josef Hämmerling

Einer der größten Korruptionsprozesse in der deutschen Strafrechtsgeschichte droht für die Ankläger mit einem Fiasko zu enden. Trotz Hunderten von Aktenordnern und eindeutigen Aussagen des Hauptangeklagten Ulrich Eisermann ist es der Staatsanwaltschaft nicht gelungen, ein hieb- und stichfestes Paket zu schnüren, mit dem allen drei Angeklagten ihre Schuld einwandfrei nachgewiesen werden kann.

Angeklagt sind der ehemalige Chef der Abfallentsorgungsfirma AVG, Ulrich Eisermann, der Ex-Geschäftsführer des Anlagenbauers Steinmüller, Siegfrid Michelfelder sowie der frühere Kölner SPD-Fraktionsvorsitzende Norbert Rüther. Den drei Männern wird Bestechung, Bestechlichkeit sowie Untreue und Beihilfe zu diesen Straftaten vorgeworfen. Insgesamt sollen beim Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage in den neunziger Jahren Schmiergelder in Höhe von rund elf Millionen Euro geflossen sein.

Ende März drohte der ganze Prozeß vor dem Kölner Landgericht sogar zu platzen. Es war nämlich bekannt geworden, daß die Anklagebehörde schlicht und einfach "vergessen" hatte, dreißig Umzugskartons voller Akten an Gericht und Verteidigung zu übergeben.

Sofort tauchten Vermutungen auf, daß die beiden Korruptionsjäger Robert Bungart und Joachim Roth diese Akten absichtlich nicht übergeben hätten, um die ohnehin schon angeschlagene Glaubwürdigkeit des Kronzeugen Eisermann nicht zu gefährden.

Oberstaatsanwalt Norbert Krakau wies diesen Vorwurf aber entschieden zurück. Die vergessenen Unterlagen seien "unerheblich" und ihr "Beweiswert gleich Null".

Diese dem Gericht und der Verteidigung vorenthaltenen Unterlagen hätten den Prozeß sogar ganz platzen lassen können. Um die dreißig Kartons durchzuarbeiten, hätte Richter Martin Baur mehr als zehn Tage benötigt. Ein laufender Prozeß darf aber nicht länger als zehn Tage unterbrochen werden, ohne neu aufgerollt zu werden. Hierzu ist allerdings ein Aussetzungsantrag der Verteidigung notwendig, die aber ausdrücklich hierauf verzichtete und auf eine Fortführung des Prozesses drängte.

Alle drei Angeklagten dürfen auf milde Strafen hoffen. Hauptgrund hierfür ist die mehr als schwache Beweislage. So mußte dann auch Richter Baur in einem Zwischenbescheid einräumen, daß aufgrund der Aktenlage Rüther derzeit freigesprochen werden müsse.

Es gebe "keine gewichtigen Indizien" dafür, daß er wirklich rund eine Million Euro Bestechungsgelder angenommen habe. Diese Anschuldigung beruhe lediglich auf den Aussagen Eisermanns, dessen Glaubwürdigkeit aber schon vor den nun neu aufgetauchten Akten angeschlagen gewesen sei und durch den Inhalt der Akten weiter erschüttert werde. Rüther selber hatte die Annahme des Geldes immer bestritten.

Ursprünglich drohten sieben Jahre Gefängnis

Michelfelder stellte Richter Baur nach derzeitigem Ermittlungsstand eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren, eine Geldauflage von einer Million Euro und ein hohe Geldstrafe von 160 Tagessätzen in Aussicht (wobei die Höhe des Tagessatzes noch nicht näher beziffert wurde).

Der Ex-Manager von Steinmüller hatte die Annahme von rund einer halben Million Euro Bestechungsgelder zugegeben. Laut Eisermann soll er aber 1,2 Millionen Euro erhalten haben.

Das Gericht hat aber im Laufe der Verfahrens durch Widersprüche und von der Beweislage nicht gedeckte Unterlagen den Eindruck gewonnen, Eisermann habe mehrfach gelogen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil er möglicherweise mehr als die von ihm zugegebenen 4,9 Millionen Euro eingesteckt habe, diesen Mehrbetrag jetzt aber auf seine Mitangeklagten abschieben wolle.

Dennoch würde auch Eisermann eine deutlich geringere Strafe von drei Jahren und neun Monaten bekommen, führte Richter Baur weiter aus. Schließlich habe er durch seine Aussagen wesentlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen. Ursprünglich hatte dem Hauptangeklagten noch eine Haftstrafe von sieben Jahren gedroht.

Die Staatsanwaltschaft wehrt sich gegen diese ihrer Ansicht nach "viel zu niedrigen Strafen". Staatsanwalt Jochen Roth will nun bis zum 22. April neue Beweisanträge vorlegen, die die Schuld aller drei Männer nachweisen sollen. Allerdings bezweifeln die meisten Beobachter des Prozesses, daß dieses der Anklagebehörde wirklich gelingen wird.

Die nunmehr aufgefundenen Akten könnten aber Brisanz für einen anderen Fall haben. Nach Informationen des Boulevardblatts Express sind in den Kartons Aufstellungen enthalten, wonach offenbar illegale Spendengelder für den Oberbürgermeister-Wahlkampf über das Konto von Klaus Heugel, von dem Rüther 1998 den SPD-Fraktionsvorsitz übernahm, gelaufen sind.

Unterstützt wird dieser Bericht durch die Zeugenaussage eines Polizeibeamten bei der Verhandlung über die Korruptionsaffäre. Dieser sagte aus, man habe die Akten einer "Spur 7" zurückgehalten, um ein paralleles "verdecktes Verfahren nicht zu gefährden".

Dieses könnte dann für Rüther doch noch ein Nachspiel haben. Denn wegen des SPD-Spendenskandals wird sich der ehemalige Kölner sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende erneut vor Gericht verantworten müssen. Und da droht Rüther eine Geldbuße von mindestens 35.000 Euro, gegebenenfalls aber auch mehr. Diesen Betrag hatte der ehemalige SPD-Schatzmeister Manfred Biciste zahlen müssen. Billiger wird es für Rüther wohl auf keinen Fall werden.


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