© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/04 09. April 2004

Koranschulen hinterm Deich
Niederlande: Streit um Islam-Unterricht ausgebrochen / Verfassungsartikel über Religionsfreiheit steht zur Diskussion
Jerker Spits

Ein Verfassungsartikel aus dem Jahr 1917 sichert in den Niederlanden die Religionsfreiheit der Schulen. Doch seit einiger Zeit treten mehrere Politiker für eine Änderung des Artikels ein. Vor allem die Rechtsliberalen fordern eine Prüfung des Religionsunterrichts an islamischen Privatschulen; das heutige Gesetz läßt ein Eingreifen wegen der Religionsfreiheit aber nur schwer zu.

Der Verfassungsartikel sieht die Trennung von Staat und Kirche vor und läßt den Schulen freien Raum im Religionsunterricht. Er war eine Folge des "Schulstreits" zwischen liberalen und christlichen Politikern um das Verhältnis zwischen Staat und Kirche im Unterricht. Die verschiedenen Glaubensgemeinschaften - Reformierte, Kalvinisten, Katholiken - konnten auf diese Weise ihre eigenen Schulen gründen. Jetzt steht das Verhältnis zwischen religiöser Erziehung und dem Bildungsauftrag der Schule erneut zur Diskussion. Der Staat sollte mehr Möglichkeiten bekommen, gegen islamistische Schulen vorzugehen, die gegen das niederländische Gesetz verstoßen, meint die mitregierende rechtsliberale Volkspartei (VVD).

Vor allem der liberale Politiker Geert Wilders, der in den vergangenen Monaten wiederholt auf die Finanzierung von Islamschulen durch orthodoxe, dem Terrorismus nahestehende Spender aus Saudi-Arabien hingewiesen hat, gilt als scharfer Kritiker der heutigen Verfassung. Der Artikel 23 grenze den Staat in seinen Möglichkeiten, den Religionsunterricht zu prüfen, zu sehr ein. Auch die aus Nordafrika stammende liberale Politikerin Ayaan Hirsi Ali fordert eine stärkere staatliche Überwachung der Islamschulen. Schulen, deren Unterricht gegen das niederländische Gesetz verstößt, sollten geschlossen werden, so Hollands bekannteste Islamkritikerin. Islamische Schulen führten dazu, daß Jugendliche die niederländischen "Normen und Werte" nicht ausreichend kennen und isoliert leben.

Leben in abgeschotteten Gemeinschaften

Auch eine parlamentarische Untersuchungskommission, die im Auftrag der Regierung sich des heiklen Themas Integration angenommen hatte, forderte vor zwei Monaten dazu auf, Artikel 23 der Verfassung zu ändern. Der Artikel führe dazu, daß es rein "schwarze" Schulen gebe, deren Schüler unter sich blieben, in abgeschotteten Gemeinschaften aufwachsen und nicht integriert werden können, so die Kommission damals. Schulen sollten einen auf die politische und gesellschaftliche Situation in den Niederlanden bezogenen Islam vermitteln, fordert auch die oppositionelle sozialdemokratische Partij van de Arbeid (PvdA).

"Bei islamischen Schulen ist alles einseitig", so der sozialdemokratische Abgeordnete Jeroen Dijsselbloem. "Die Herkunft der Schüler, ihre Rückstände, die sozial-wirtschaftliche Position der Eltern". Integrationsfördernde Ziele sollten im Unterricht über den Islam künftig mehr im Vordergrund stehen, fordert Dijsselbloem.

Doch die Christdemokraten (CDA) stellen sich einer Änderung des Verfassungsartikels entgegen. Ministerpräsident Jan Peter Balkenende (CDA) wies die Forderung der Rechtsliberalen zurück. Die Religionsfreiheit sei ein "hohes Gut".

Auch die kleine christliche Partei Christen-Union lehnt eine Änderung des Artikels ab. Die christlichen Politiker fürchten, daß auch die Freiheit der kleinen kalvinistischen Schulen als Folge einer solchen Änderung in der Verfassung eingeschränkt werden kann. Die Grünen (Groen Links) warnen hingegen vor einem "Feindbild Islam". Es handle sich nur um wenige orthodoxe Schulen; das Gesetz biete ausreichend Möglichkeiten, gegen diese Schulen vorzugehen.

Ein Teil der islamischen Schulen führt Jugendliche in eine umfassende islamische Lebensweise ein und wirkt der Integration der in den Niederlanden lebenden islamischen Jugendlichen entgegen. Vor allem die "Koranschulen", wie sie in den Niederlanden treffend heißen, vermitteln einen orthodoxen Islam und machen die Schüler kaum mit den Werten der niederländischen Gesellschaft vertraut.

In den letzten Wochen erschienen in niederländischen Zeitungen mehrere Berichte über orthodoxe Islamisten, die von einem islamischen, von der Scharia beherrschten Europa träumen. Die flämische AEL ist seit mehr als einem Jahr auch in den Niederlanden aktiv. Bezeichnend war das Urteil der vom französischen Präsidenten Jacques Chiracs eingesetzte Integrationskommission, als sie die Niederlande besuchte: "Islamische Fundamentalisten nutzen die bürgerlichen Freiheiten für einen Kampf gegen das Land, das in ihren Augen nur von Schwulen und Drogenabhängigen bevölkert wird."

Schon vor zwei Jahren wies der linksliberale Minister für Integretationsfragen Roger van Boxtel (D'66) auf die Notwendigkeit hin, Imame und islamische Religionslehrer in den Niederlanden auszubilden, da diese sonst keine Kenntnisse der niederländischen Gesellschaft hätten oder orthodoxe Moslems seien. Anlaß waren damals Äußerungen eines Rotterdamer Imams, der sich öffentlich dazu bekannte, Ehefrauen nach einer Koranvorschrift schlagen zu dürfen, wenn sie nicht auf "Ermahnung" reagieren; zudem erklärte er Homosexuelle zu einer "Gefahr für den Frieden".

Seit 2002 läßt sich in den Niederlanden eine neue, strenge Integrationspolitik beobachten. Bereits nach den Anschlägen vom 11. September 2001 fand in der niederländischen Gesellschaft eine intensive Debatte über die Integration der in den Niederlanden lebenden Moslime statt.

Doch vor allem nach dem Aufstieg des ehemaligen Soziologieprofessors Pim Fortuyn, der 1997 seine Streitschrift "Gegen die Islamisierung unserer Kultur" vorlegte und in seinem Wahlkampf die Ausländerpolitik zu einem seiner wichtigsten Themen machte, hält die Debatte über die Mängel der niederländischen Integrationspolitik an. Seit Fortuyn geben fast alle Parteien sich in dieser Frage streng, um dem Bedürfnis der Bürger Rechnung zu tragen.


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