© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/04 09. April 2004

Die Täter sind unter uns
Pädophilie: Der sexuelle Mißbrauch von Kindern ist nicht nur als medizinisches Problem zu erkennen
Angelika Willig

In Berlin geht gerade ein besonders schlimmer Fall von Kindesmißbrauch durch die Presse. Ausgerechnet ein Polizeiobermeister von 41 Jahren wird dringend verdächtigt, seinen 16 Monate alten Pflegesohn sexuell mißbraucht zu haben. Dietmar T. ist "glücklich verheiratet" und hat einen 11jährigen leiblichen Sohn. Als das Baby in die Familie kam, stiegen die Eheleute noch im Ansehen des kleinen Ortes in Brandenburg, wo sie leben.

Wer nun neugierig ist, was Psychologen und psychiatrische Gutachter über den Kinderschänder herausbekommen, über seine Motive und Probleme, wird höchstwahrscheinlich enttäuscht sein. Wie zur Zeit im Prozeß gegen den belgischen Sexualmörder Marc Dutroux oder bei den Liebhabern von Kinderpornos im Internet oder verbotenen Videos wird man auch hier keine einleuchtende psychologische Erklärung finden. Weder stammen diese Täter aus zerrütteten Familien, noch sind sie schwachsinnig, verwahrlost oder selbst mißbraucht worden.

Woher kommt ihr Verhalten? Es könnte genetisch bedingt sein wie zum Beispiel die Neigung zur Glatze. Dadurch läßt sich aber nicht der Anstieg derartiger Delikte in den letzten Jahren erklären. Das bekannte Kinsey-Institut in den USA hat in einer drastisch vorgehenden Untersuchung festgestellt, daß nur etwa fünf Prozent der Pädophilen "echt", das heißt eindeutig auf diese Art der Sexualität festgelegt sind, so daß mit erwachsenen Frauen kein Verkehr möglich ist. Die restlichen 95 Prozent sind sehr wohl dazu in der Lage. Dieses wichtige Resultat wurde von Philip Firestone von der Universität Ottawa vor drei Jahren bestätigt: Fast jeder dritte Mann spricht auf eine vorgeführte Sexszene mit einem Kind an. Gemessen wird dies wissenschaftlich-exakt mit einem "Phallometer", das kleinste Größenänderungen beim Penis digital anzeigt. Überflüssig sind solche Untersuchungen keineswegs. Wir lernen daraus, daß es sich beim Thema Kindesmißbrauch und Sexualverbrechen nicht in erster Linie um ein medizinisches, sondern um ein kulturelles Problem handelt.

Der typische Angeklagte ist also kein Triebgestörter, kein Monster, sondern ein Mensch, der sich pervers betätigt, obwohl er durchaus auch eine andere Wahl gehabt hätte. Denken wir an die Homosexuellen. Deren Lobby legt besonderen Wert auf die Freiwilligkeit, die Rede von "Krankheit" wird als unerträgliche Diskriminierung empfunden. Und häufig auch zu Recht: Man ist schwul nicht deshalb, weil man nicht aus seiner Haut kann, sondern weil man sich dafür entschieden hat. Nichts anderes meint Wowereits klassisch gewordenes Diktum "und das ist auch gut so".

"Gut so" finden auch Kinderschänder ihre Vorlieben. Sie tun es gern und nur zum geringen Teil mit Qualen und Schuldgefühlen. Nur läßt sich das in der Öffentlichkeit nicht zugeben - noch nicht oder nicht mehr. Denn in der Siebzigern gab es bereits antiautoritäre Stimmen, die Kindern eine Sexualität zusprachen, die nur "entdeckt" werden müsse. So soll der heutige Grünen-Politiker und Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit in dem Frankfurter Kinderladen, wo er arbeitete, in diesem Sinne tätig geworden sein (JF 11/2001 berichtete).

Wolfgang Berner, Psychiatrieprofessor am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, hat die Abnehmer von Kinderpornos einer gründlichen Untersuchung unterzogen. In den Aussagen fällt auf, daß vielfach gar nicht der sexuelle Reiz im Mittelpunkt steht, sondern der "Kick, etwas zu sehen, was noch niemand gesehen hat", jedenfalls niemand in der Bekanntschaft. Die sexuelle Perversion wird also zu einer Art Abenteuer, mit dem man bei Gelegenheit auch renommieren kann. Die eigentliche Sexualität ist vielleicht doch besser bei Mutti aufgehoben - dazu paßt die vordergründig gute Ehe des Polizisten, auch Dutroux war verheiratet - , doch ab und zu wünscht man sich "das besondere Erlebnis". Es gibt ganz klar eine Abstumpfung gegenüber Pornographie. Wer schon alles Mögliche gesehen hat, sehnt sich irgendwann nach dem "Unmöglichen" und Extremen. Das ist nicht etwa krankhaft, sondern völlig normal, vorausgesetzt, daß nicht sittliche Regeln diese Entwicklung behindern und unterdrücken.

Diese Sittlichkeit gibt es aber nicht in einer Gesellschaft, die Sex grundsätzlich als reine Lustquelle ohne gesellschaftliche Funktion definiert. Damit ist der Unterschied zwischen Sexualität und Perversion gefallen, denn dieser kann nur bestehen in der Unterteilung von fortpflanzungsadäquat und nicht adäquat. So hatte noch Freud definiert. Ist "Perversion" einmal akzeptiert, dann läßt sich auch nicht mehr zwischen den einzelnen Formen wertend unterscheiden. Auf humorvolle Weise hat dies der niederländische Biologe Niklas Dekkers in seinem Buch über Sodomie durchgespielt. Man gewinnt am Ende den Eindruck, daß gegen geschlechtliche Beziehungen zwischen Menschen und Bernhardinern nichts einzuwenden ist.

Um beispielsweise Armin Meiwes, den "Kannibalen", überhaupt verurteilen zu können, ignorierte das Gericht dessen Schilderungen, wonach sein Opfer Bernd Brandes mit seiner Tötung einverstanden gewesen sei. Gelegentlich kommt eben doch so etwas wie "Sitte und Anstand" gefühlsmäßig durch und erzwingt Verurteilungen. Ähnlich war es bei dem ebenfalls in Berlin verhandelten Fall eines der Pädophilie Angeklagten, der sich für unschuldig erklärte, weil er das Kind bezahlt hatte.

An Dietmar T. wird mit einem harten Urteil wohl wieder einmal ein nutzloses Exempel statuiert werden. Daß Babys immer häufiger aus dem Fenster oder in Mülltonnen geworfen werden, von den Abtreibungen einmal ganz abgesehen, wird nicht Thema der Verhandlung sein. Erneut weigert man sich, zwischen Verbrechen und Sittenlosigkeit einen Zusammenhang zu sehen.


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