© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/04 23. April 2004

Kolumne
Überalterung
Heinrich Lummer

Die deutsche Ausländerpolitik war seit Ende der fünfziger Jahre von dem Ziel geleitet, die Interessen der Wirtschaft an zusätzlichen Arbeitskräften zu fördern. Der Wiederaufbau und das seinerzeitige "Wirtschaftswunder" waren Voraussetzung für den Zuzug. Als sich ein Ende des Wirtschaftsaufschwungs abzeichnete, hatte Ludwig Erhard in weiser Vorsicht für "Mehrarbeit statt Ausländer" plädiert - vergeblich. Heute wird die massive Zuwanderung immer öfter mit der "Überalterung" Deutschlands gerechtfertigt. Wieso wird die Gunst des längeren Lebens aber als "Überalterung" bezeichnet?

Wenn Entwicklungsländer ein niedriges Durchschnittsalter haben, dann liegt das am Kinderreichtum - aber auch am frühen Tod der Bewohner. Wer verlangt, daß die längere Lebenserwartung mit einer wachsenden Kinderzahl korrespondieren müsse, fordert eine Bevölkerungsexplosion. Wer bei wachsender Lebenserwartung den Anteil der Jungen stabil halten will, zerstört den Globus vollends.

Der technische Fortschritt in den Industrieländern führt zu einer gewaltigen Produktivitätssteigerung und zu einem Rückgang an Arbeitsplätzen. "Der durch den verschärften Wettbewerb forcierte technische Fortschritt und die demographisch bedingte Abnahme erwerbsfähiger Personen korrespondieren in idealer Weise", schrieb Thomas Brandis in der JF 44/98. Überspitzt formuliert könnte man sagen: Wenn Ausländer je eine Bereicherung waren, dann können wir jetzt getrost sagen, wir sind nun reich genug und können den Laden wegen Reichtums geschlossen halten. Der Zuzug schafft überwiegend Probleme: von der Einwanderung ins soziale Netz über die Integration bis hin zu den Fragen, die eine multikulturelle Gesellschaft aufwirft. Nach dem Anwerbestopp 1973 geschah der millionenfache Zuzug ungebeten: über Asyl, Familiennachzug, Kontingentflüchtlinge. Nun droht eine weitere Einwanderungsvariante: über die EU-Mitgliedschaft. Sachkenner rechnen damit, daß bei einem Beitritt der Türkei etwa fünf Millionen Menschen in die Mitte Europas drängen könnten - aber auch in Osteuropa gibt es ein ernstzunehmendes Migrationspotential.

Was ist zu tun? Der Sterbeüberschuß kann nicht durch Zuwanderung ausgeglichen werden. So verlieren wir unsere Identität - besser klein, aber fein. Die Politik muß den Ausländerzuzug rigoros begrenzen. Es ist eine aktive Familienpolitik nötig - und die Politik muß Zukunftsvertrauen stiften! Doch das ist das Schwierigste. Haben wir denn keinen Grund, der Zukunft zu vertrauen?

 

Heinrich Lummer, Berliner Innensenator a. D., war bis 1998 Bundestagsabgeordneter der CDU.


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