© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/04 23. April 2004

Untauglicher Versuch der Legitimation
Das Werk des britischen Historikers Frederick Taylor über die Bombardierung Dresdens kann sich nicht vom Standpunkt der Rechtfertigung lösen
Horst Boog

Der Verfasser dieses Buches möchte die bisherige Überlieferung von der brutalen, in diesem späten Kriegsstadium überflüssigen und militärisch sinnlosen Vernichtung der "unschuldigen" barocken Kulturstadt Dresden, auch Elbflorenz genannt, und vieler ihrer Einwohner am 13./14. Februar 1945 durch das britische Bomber Command widerlegen und die Briten von der darob über ein halbes Jahrhundert hinweg empfundenen Scham befreien. Insbesondere zieht er dafür nach der deutschen Wiedervereinigung zugänglich gewordene Industrieakten der seinerzeitigen Rüstungsinspektion Dresden heran. Außerdem erlaubten ihm seine guten Deutschkenntnisse umfangreiche Recherchen in deutschen Quellenbeständen sowie zahlreiche Interviews mit deutschen Überlebenden des Infernos. Dazu befragte er auch beteiligte englische Bombenflieger. Man darf wohl von einer sehr gründlichen und der zeitlich bisher umfassendsten Untersuchung des Gegenstandes sprechen, die mit viel Verständnis für die betroffene Zivilbevölkerung geschrieben ist. Seine Sprache ist klar, ungekünstelt und nicht überzeichnend oder emotionalisierend wie in dem Buch, gegen das er sich richtet: Jörg Friedrichs Der Brand. Ist Taylor die Widerlegung der "Legende Dresden" voll gelungen?

Er holt in der Schilderung der "Vorgeschichte" weit aus bis ins Mittelalter. Man hat von Anfang an das Gefühl, eingestimmt werden zu sollen auf die Tatsache, daß Städtezerstörungen und unnötige Menschenopfer wie in Dresden in der Geschichte nichts Ungewöhnliches waren und daß Dresden nicht nur eine Stadt der barocken Putten war, in der Engel lebten. Schon die Preußen brannten die Stadt 1760 nieder, wobei über 4.000 Menschen den Tod fanden. Hunderttausend Untertanen Augusts des Dritten von Sachsen habe der Siebenjährige Krieg das Leben gekostet. Die Dresdner Bevölkerung reduzierte sich in dieser Zeit von 62.000 auf 36.000 Einwohner. Im Ersten Weltkrieg starben 12.0000 Sachsen an der Front.

Schon im 19. Jahrhundert habe der in Dresden geborene Historiker Heinrich von Treitschke seine deutschnationalen und antisemitischen Thesen verbreitet, und unter den Nazis wurden die Juden in der Stadt drangsaliert. Gauleiter Mutschmann habe von Dresden aus diktatorisch über Sachsen geherrscht. Im übrigen hätten Hitler und Speer schon lange geplant, die Stadt durch Niederreißung von etwa 2.600 historischen Gebäuden autogerecht umzugestalten.

Ab 1941 sei Dresden ein Hauptverkehrsknotenpunkt für die Versorgung der Ostfront gewesen. Wenn die Stadt auch äußerlich Frieden ausstrahlte, so wurde dort doch intensiv für den Krieg gearbeitet. Es habe dort Kasernen und viele zwar meist kleinere und mittlere, aber auch größere der Luftwaffe und schließlich auch der V-Waffenproduktion zuarbeitende Betriebe gegeben. Dies ist in der Tat ein Aspekt, der in der bisherigen Überlieferung der Zerstörung Dresdens kaum vorkommt. Was Taylor damit sagen will, ist klar. Nach damaliger kriegsvölkerrechtlicher Auffassung konnten Städte mit militärischen und rüstungsindustriellen Anlagen bombardiert werden, weil ein Staat sonst seine Rüstungsindustrie durch Verlegung in Wohngebiete hätte immun machen können. Natürlich war dabei die Zivilbevölkerung weitestmöglich zu schonen, was nicht besonders betont wird, möglicherweise deswegen, weil die Unterscheidung zwischen Zivilem und militärisch Relevantem taktisch-technisch aus der Luft häufig sehr schwierig war.

Richtig und der damaligen Situation angemessen ist der Hinweis auf die Kriegslage Anfang 1945. Die Deutschen hatten mit der Ardennenoffensive gerade den Anschein erweckt, daß sie noch lange nicht am Ende waren. Andererseits erschien es notwendig, den Sowjets angesichts der Stagnation an der Westfront wenigstens aus der Luft bei ihrem Vormarsch zu helfen, weil man sie noch für die Niederringung Japans zu brauchen meinte. In diesem Szenario schien den Westalliierten die Ausschaltung Dresdens als Nachschubzentrum für die deutsche Ostfront ein wichtiger Faktor, gleichgültig ob die Russen darum gebeten hatten oder nicht. Taylor läßt diese Frage in der Schwebe, wie auch die begründete Feststellung von Max Hastings, den Russen sollte mit diesem Bombardement eine Warnung erteilt werden, was anhand der damals schon bestehenden ost-westlichen Spannungen nicht von der Hand zu weisen ist.

Um den Angriff auf Dresden historisch zu rechtfertigen, betont Taylor, es habe sich dabei um eine Operation wie viele andere gehandelt mit einer von den Deutschen schon gegen Coventry und von den Briten am 28. und 29. März 1942 gegen Lübeck angewandten Inbrandsetzungs- und Intervall-Taktik (zwei Bomberwellen, von denen die zweite die Löschtätigkeit verhindern sollte). Des weiteren verweist er auf die der deutschen Luftwaffe anhaftenden Negativbeispiele Guernica, Warschau, Rotterdam und Coventry, ohne die Zulässigkeit dieser taktischen beziehungsweise strategischen Bombardements nach den jeweils zutreffenden Maßstäben zu erörtern.

Diese Beispiele haben sich auch in der deutschen allgemeinen Erinnerung als Terror-Legenden eingebürgert, wohl weil sie erstmals in Europa den schrecklichen Charakter des modernen Bombenkrieges offenbarten. Die ersten drei Bombardements werden als taktische Operationen im Frontgebiet, wie sie später von den Alliierten noch viel radikaler durchgeführt wurden (Caen, Düren, Jülich, Heinsberg), und Coventry wird als strategische Operation gegen ein wichtiges Rüstungszentrum heute auch von anglo-amerikanischen Historikern für unter den damaligen Umständen zulässig angesehen, so bedauerlich einige Auswirkungen waren. Der Rezensent hat dies mehrfach anderswo erläutert ("Das Dritte Reich und der Zweite Weltkrieg" Band 7, Stuttgart 2001, Seite 320 ff. und in: Poeppel, Prinz von Preußen, v. Hase Hrsg., "Die Soldaten der Wehrmacht", München 1998, Seiten 256-323, Aufsatz über Bombenkrieg, "Völkerrecht und Menschlichkeit").

Daß Deutschland auf den Appell des amerikanischen Präsidenten Roosevelt vom 1. September 1939 zur Schonung der Zivilbevölkerung im zu erwartenden Bombenkrieg erst am 18. September geantwortet haben soll, so als kümmere es dies wenig, entspricht nicht den Tatsachen. Hitler antwortete schon am gleichen Tag mit einer Note an den amerikanischen Geschäftsträger in Berlin affirmativ, England und Frankreich erst zwei Tage später. Taylor erwähnt das Bombardement Warschaus durch die deutsche Luftwaffe am 13. September 1939, das wegen der Beimischung von Brandbomben die Zerstörung der Stadt zum Ziel gehabt haben soll, unterläßt es aber, den Bericht des französischen Luftattachés in Warschau an seine Regierung vom 14. September 1939 zu nennen, in dem dieser von Repressalien abrät, da die deutsche Luftwaffe bis dahin nach den Kriegsgesetzen gehandelt und insbesondere militärische Ziele angegriffen habe.

Gelegentlich zitiert Taylor auch Harris, wonach die Deutschen mit den britischen Städteangriffen nur geerntet haben, was sie vorher mit der Bombardierung von Zielen in England selbst gesät haben. Aber schon der Völkerrechtsexperte im britischen Air Ministry, Spaight, schrieb 1944, die Engländer hätten den Bombenkrieg begonnen, nicht die Deutschen. Die häufige Erwähnung des Gebrauchs von Brandbomben durch die deutsche Luftwaffe kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß solche Mittel bei ihr noch keine große Rolle spielten und nicht der Erzeugung von Riesenbränden dienten, wie der in England lehrende Hans-Henning Abendroth für Guernica feststellte. Man wußte zwar seit dem Spanienkrieg, wie man Städte in Brand setzte, aber noch war die Luftwaffe auf den Punktzielwurf möglichst im Sturzverfahren und nicht auf die Zerstörung ganzer Stadtflächen ausgerichtet. In Coventry betrug die Brandbombenbeimischung weniger als zwanzig Prozent gegenüber häufig vierzig bis sechzig Prozent bei der Royal Air Force.

Es genügt auch nicht, die bösen deutschen Absichten durch Goebbelssche Propagandasprüche oder Hitlers Wutausbrüche nachweisen zu wollen. So wies Hitler zehn Tage nach seiner durch die britischen Berlin-Angriffe verursachten Ankündigung des "Ausradierens" englischer Städte durch die Luftwaffe deren Generalstabschef Jeschonnek an, solange wie möglich auf militärisch relevanten Zielen "stehenzubleiben" und noch keine Vergeltungsangriffe zu veranlassen. Sicherlich spielte hierbei auch reines Zweckdenken eine Rolle. Er wollte vorläufig im Westen nicht provozieren, da er bald im Osten gebunden sein würde und nicht zurückschlagen könnte. Das sind nun einmal die Tatsachen, womit die bekannten anderweitigen Untaten des NS-Regimes nicht in Abrede gestellt werden sollen.

In der deutschen Luftkriegsdoktrin, die, wie ein amerikanischer Sachkenner betont, nicht von Nazi-Ideologen, sondern von professionellen Offizieren entworfen wurde, war der Vergeltungsangriff die Ausnahme im Sinne der völkerrechtlichen Repressalie; Hauptziel des Luftkrieges war die Ausschaltung der feindlichen Streitkräfte. In der britischen Doktrin spielte hingegen schon in den zwanziger Jahren die Bombardierung auch von Arbeiterwohnvierteln eine Rolle, um dadurch die Rüstungsproduktion zu treffen. Die Paralysierung der Moral der gegnerischen Zivilbevölkerung - eine verfehlte Zielsetzung, da die Menschen in einem Polizei- und Überwachungsstaat ihre Regierung nicht wie in einer Demokratie unter Druck setzen konnten -, stand, was immer unter "Moral" zu verstehen war, an erster Stelle unter den mit dem Bombenkrieg verfolgten Zielen, gefolgt von den üblichen militärisch relevanten Zielen wie Rüstungswerke, Militäranlagen und ähnliches.

Davon findet sich bei Taylor nichts. Im Angriffsbefehl für Dresden wird als Ziel das Stadtzentrum genannt. Die Absicht war, unter der Zivilbevölkerung ein durch die zahlreich in der Stadt vermuteten Flüchtlinge vergrößertes Chaos mit dem Ziel der Lahmlegung des Eisenbahn- und Straßenverkehrs zur Front zu erzeugen, d.h. Zivilisten für militärische Zwecke zu töten. Von der örtlichen Rüstungsindustrie, über die man offenbar keine vollständige Information verfügte, die aber im Falle Coventry im Mittelpunkt der deutschen Zielsetzung stand, war, wie Taylor auch zugibt, überhaupt keine Rede. So können Dresden und Coventry von den unterschiedlichen jeweiligen Angriffsabsichten her einander nicht gleichgesetzt werden, wenngleich Taylor gezeigt hat, daß auch in Dresden für die Kriegsproduktion gearbeitet wurde und die entsprechenden Fabriken mithin hätten bombardiert werden können. Sie wurden aber weitgehend ausgespart.

Die Zerstörung Dresdens sollte nicht durch die für die Frage ihrer Legitimation irrelevanten Hinweise auf frühere deutsche Bombardements von Guernica bis Coventry und andere historische Vorkommnisse relativiert werden, zumal auch die amtliche britische Darstellung der Luftverteidigung des Vereinigten Königreiches von Sir Basil Collier schon vor fast fünfzig Jahren für die Zeit bis einschließlich 1941 feststellte, die deutsche Luftwaffe habe sich trotz Erwägung von Terrorangriffen bemüht, militärisch relevante Ziele anzugreifen. Tatsächlich trachteten die Luftmächte anfangs trotz unterschiedlicher Doktrinen, den Bombenkrieg unter Berücksichtigung der Regeln des humanitären Gewohnheitsvölkerrechtes zu führen. Ein vertragliches Luftkriegsvölkerrecht gab es nicht.

Je länger aber der Zweite Weltkrieg dauerte und je erbitterter er ideologisch geführt wurde, desto mehr trafen sie sich alle nach und nach und aus den verschiedensten, nicht zuletzt auch taktisch-technischen Gründen auf dem untersten gemeinsamen Nenner, dem des unterschiedslosen oder Terror-Bombenkrieges. Den Anfang machten die Briten mit der Direktive vom 14. Februar 1942, derzufolge der Bombenzielpunkt immer die Mitte einer Stadt, nicht irgendeine Fabrik sein sollte. Wenn sie auch nur für eine Übergangszeit gedacht war, blieb man doch trotz verbesserter Zielverfahren bis Kriegsende dabei. Dann folgten die Deutschen mit ihren sogenannten Baedeker-Angriffen im Frühsommer 1942 auf englische Kulturstädte in Vergeltung für das Ausbrennen von Lübeck und Rostock und weiter ab Mitte 1944 mit der ungezielten V-Waffenoffensive. Ab 1943/44 begannen die Amerikaner mit ihren sehr ungenauen Radarangriffen durch Wolkenbedeckung, weil sie bei dem meist ungünstigen europäischer Wetter ihre Bomberflotten nicht brachliegen lassen wollten und die deutsche Jagdabwehr dann am unwirksamsten war. Den Höhepunkt ihrer unterschiedslosen Bombenkriegführung bildeten das Ausbrennen von Tokio und die anschließenden Atombombenabwürfe 1945.

Taylor folgt in seiner Argumentation einer von vielen britischen Historikern vertretenen pragmatischen Linie, wie sie schon bei der internationalen Tagung über Luftkriegsgeschichte in Freiburg 1988 zutage trat. Sie läßt moralische Erwägungen außen vor - wie kann man die durch die Technik ermöglichten Schrecken des Zweiten Weltkrieges moralisch werten? - und rechtfertigt die britische Bombenkriegführung als einziges, wenn auch zugegebenermaßen sehr ungenaues Mittel - nachts habe man nur großflächige Ziele wie Städte und keine selektiven Einzelziele treffen können -, um direkt gegen Deutschland zurückzuschlagen. Die Seeblockade am Ende des Ersten Weltkrieges habe Deutschland viel mehr zivile Tote gekostet als der Bombenkrieg im Zweiten. Nichts, so Noble Frankland, wäre schlimmer gewesen, als gegen das Hitler-Regime zu verlieren.

Richard Overy beantwortet die Frage nach der Moralität der britischen Städte-Angriffe damit, daß er auf die schweren Verluste der Bomberbesatzungen im Kampf mit der deutschen Abwehr hinweist. Connelly meint, im Kriege gegen einen verbrecherischen Feind müsse die Moral schon einmal hintangestellt werden und Neillands argumentiert mit Harris, man müsse alles treffen, um etwas zu zerstören. Schließlich habe die alliierte Bomberoffensive den Krieg abgekürzt und entscheidend dazu beigetragen, ihn zu gewinnen. Letzteres ist sicher richtig, wenngleich von vielen nicht geglaubt. Auf eine ausgewogene Darstellung des Bombenkrieges unter Berücksichtigung beider Seiten wird man wohl noch eine Weile warten müssen. Horst Boog

Frederick Taylor: Dresden. Tuesday, February 13, 1945. Bloomsbury, London 2004, XXI und 522 Seiten, 23,20 Euro

Dr. Horst Boog war leitender wissenschaftlicher Direktor des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Freiburg. Er ist Herausgeber der Bände "Luftkriegführung im Zweiten Weltkrieg. Ein internationaler Vergleich" (1992) und Mitautor in "Das Deutsche Reich in der Defensive. Strategischer Luftkrieg in Europa, Krieg im Westen und in Ostasien 1943-1944/45" (2001).

Blick auf die Altstadt von Dresden mit Frauenkirche, aufgenommen 1933: Moral hintanstellen


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