© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/04 23. April 2004

Neue Technologien: US-Forscher beklagen sich über Präsident Bush
In zwölf Schritten zur universalen Erlösung
Angelika Willig

Persönliche Ratgeber wie Dale Carnegie und seine zahlreichen Nachfolger stammen mit Vorliebe aus den USA. Auch George W. Bush hat wohl einige davon gelesen. Nach der Devise "Sorge dich nicht, lebe" half er den Irakern und vertraut nun auf das "positive Denken", damit sie seine Hilfe endlich annehmen. Die inzwischen auch in Deutschland verbreitete "Lebenshilfe" ist weniger Psychologie als Pseudoreligion, da sie nicht punktuelle Aufklärung und Beratung bietet, sondern das Heil insgesamt verspricht.

Gegen wissenschaftliche Konzepte hegen die neuen Lebensphilosophen verständlicherweise einen Groll. Mediziner, Psychotherapeuten und Genetiker lassen sich für ihre ernüchternden bis erschreckenden Analysen auszeichnen, während schon im nächsten Buchladen der Weg zur Erlösung in zwölf Schritten beschrieben ist. Noch nicht alle Menschen haben sich aus dem Terror rationalen Denkens befreit und zu ihrer inneren Stimme gefunden. Der Präsident unterstützt diesen Prozeß. Die populärreligiöse Mission von George Bush richtet sich also nicht nur gegen den Islamismus, sondern auch gegen die Ketzer im eigenen Lager. Hier hat er es noch schwerer. Denn seien wir ehrlich, beim Islam kann es sich letztlich nur um ein Strohfeuer handeln, um ein letztes vergebliches Aufbäumen gegen den Sieg des Westens. Ob Bush es aber auch schafft, die moderne Naturwissenschaft umzutaufen, bezweifeln selbst seine Anhänger.

Von Anfang an hat der Präsident deutlich gemacht, daß bestimmte Werte für ihn außerhalb jeder Kritik stehen. Zwei Forscher sind deswegen erst kürzlich aus dem Bioethik-Rat geflogen. Auch die Gesundheitskampagnen sind gehalten, ohne das Wort "Kondom" oder andere Schweinereien auszukommen. Sonst wird das Geld auf die Rüstung umgelenkt.

Schon gibt es erste Widerstandshandlungen zu registrieren. 60 Wissenschaftler, darunter Nobelpreisträger, haben den Kongreß in einem offenen Brief aufgefordert, die freie Forschung gegen den Präsidenten in Schutz zu nehmen. Was werfen sie ihm vor? Nicht, daß Bush generell wissenschaftsfeindlich sei. Wo es um die nationale Sicherheit geht, bejaht er den technischen Fortschritt. Auch gegen Genfood auf den Tellern ist nichts einzuwenden. In dienender Funktion sind die Naturwissenschaften also erwünscht. Nur das Weltbild dürfen sie nicht umstürzen. Das System Bush beruht auf der Annahme, daß "nicht sein kann, was nicht sein darf". Das gilt nicht nur für die Wissenschaft. In seiner großen Rechtfertigungsrede lehnte der Präsident den Vergleich zwischen Irak und Vietnam erneut ab, denn das sei "die falsche Botschaft an unsere Truppen und unsere Feinde". Wenn die Wahrheit demoralisierend wirken könnte, darf man die Wahrheit nicht sagen. Wer derart machiavellistisch argumentiert, der sollte es wenigstens nur hinter verschlossenen Türen tun.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen