© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/04 07. Mai 2004

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Völkisch
Karl Heinzen

Der grüne Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit hat die Verantwortlichen für das Debakel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Rumänien identifiziert: Die Unionsparteien seien gemeinsam mit der FDP einer Reform des Staatsbürgerschaftsrechts so lange entgegengetreten, "daß jetzt 20 Jahre Einwanderung im Fußball" fehlen. In Frankreich könne man hingegen - nicht zuletzt am Beispiel des aus Algerien stammenden Zinedine Zidane - beobachten, welche Dynamik die Immigration auch auf diesem Gebiet anstößt.

Man darf Cohn-Bendits Wortmeldung sicherlich nicht einfach als zeitgemäß kaschierten Wutausbruch eines frustrierten TV-Hooligans abtun. In der Tat wirft die deutsche Fußballmisere nämlich die Frage auf, ob der Mangel an Talenten mit bundesrepublikanischem Paß nicht vielleicht durch fundamentale soziale und demographische Fehlentwicklungen erklärt werden kann, die die Politik früher hätte erkennen und korrigieren müssen. Lange genug dürfte schließlich bekannt sein, daß die Zahl junger Männer mit deutscher Staatsbürgerschaft mit beachtlichem Tempo kleiner und kleiner wird und daß die konsequente Arbeit an einer letztlich ja ungewissen Spielerkarriere Belastungen mit sich bringt, die nach den Vorstellungen einer ausschließlich genußorientiert genutzten Freizeit nicht akzeptabel sind.

Und doch ist das Glatteis unverkennbar, auf das sich der passionierte Seniorenkicker begibt. Man muß ihm vorwerfen, daß er zwar für ein vom Abstammungsparadigma emanzipiertes Staatsbürgerschaftsrecht plädiert, auf dem Felde des Fußballs jedoch der Vorstellung Vorschub leistet, es gäbe Unterschiede in der Spielkultur, die sozusagen ethnisch wenn nicht gar "rassisch" determiniert seien. Mehr als bloß unterschwellig suggeriert er, daß Ausnahmeerscheinungen wie Zidane, Henry oder Trezeguet nicht in der Tradition der Aufklärung als Individuen mit einer besonderen Gabe verstanden werden können, diese ihnen vielmehr ins Blut gelegt und im übrigen bei Ursprungsfranzosen so nicht anzutreffen wäre. Kann ein Politprofi wie Cohn-Bendit wirklich so unbedarft sein, daß er diese völkische Konsequenz seines Denkens nicht erkennt?

Fragwürdig ist darüber hinaus auch seine Schuldzuweisung. Man kann die Christdemokraten und die Liberalen von heute nicht dafür verantwortlich machen, daß Deutschland es nur zu einem bescheidenen kolonialen Besitz gebracht hat und diese kurze Episode zudem schon mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende gewesen ist. Frankreich, Großbritannien und die Niederlande verdanken ihre Immigration zu wesentlichen Teilen nämlich nicht ihrer aufgeklärten Auffassung von Staatsbürgerschaft, sondern den durch ihre lange ungebrochene Tradition eines liberalen Imperialismus gewachsenen Beziehungen zu vielen Völkern rund um den Erdball. Trotz Hitler haben es die Deutschen dazu nicht auch noch gebracht. Daniel Cohn-Bendit müßte es ihnen eigentlich nachsehen können.


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