© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/04 07. Mai 2004

"Wie nach einem Fliegerangriff!"
Marienfels: Unbekannte haben über Nacht das umstrittene Gefallenendenkmal in der kleinen Taunus-Gemeinde vollständig zerstört / Demonstrationen angekündigt
Moritz Schwarz

Überall Trümmer, es sieht aus wie nach einem Fliegerangriff! Das tonnenschwere Denkmal vollständig zerstört - es ist nicht zu fassen!" So schildert ein Augenzeuge dieser Zeitung das Bild, das sich ihm am Freitagmorgen auf dem Dorffriedhof der kleinen Taunus-Gemeinde Marienfels bot. Unbekannte haben - laut Polizeiangaben - bereits in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag vergangener Woche das umstrittene Denkmal des Kameradschaftsverbandes des 1. Panzerkorps der ehemaligen Waffen-SS e.V. (JF berichtete) für 20.000 gefallene und vermißte Soldtaten des Zweiten Weltkrieges völlig zertrümmert.

Der sechs Meter lange Sockel der Anlage ist fast vollständig geborsten, der ehemals darin eingelassene, drei Meter hohe und über einen halben Meter starke Naturstein umgestürzt und zerbrochen. "Ein Einzeltäter wäre dazu nicht in der Lage gewesen", so Polizeisprecher Andreas Bode von der zuständigen Polizeidirektion in Montabaur gegenüber der JF, man gehe von zwei bis drei Tätern aus. Für den Einsatz motorgetriebener Hilfsmittel gebe es keinen Hinweis. Zum genauen Tathergang will sich Bode nicht äußern.

Auf Nachfrage rekonstruiert ein Fachmann, ein Steinmetz aus der Umgebung, der das Denkmal im Auftrag des Kameradschaftsverbandes handwerklich betreute, den möglichen Hergang: "Vermutlich haben die Täter die Hebelkraft der Steinplatte ausgenutzt. Mit einem Flaschenzug, den sie wahrscheinlich an den hinter dem Denkmal stehenden Bäumen angebracht haben, könnten sie mit vereinten Kräften durchaus den Monolithen aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Der hat dann, bevor er zerbrochen ist, im Sturz das Fundament auseinandergesprengt. Danach haben die Täter die Trümmer mit Schmierereien wie 'SS-Mörder' und 'feige SS-Mörder' geschändet, bevor sie sich in aller Heimlichkeit aus dem Staub gemacht haben."

Zum Stand der Ermittlungen will die Polizei bislang keine Angaben machen, ebensowenig bezüglich der Richtung, in die ermittelt wird. Ein "Bekennerschreiben" im Namen der örtlichen Jungen Union nimmt sie nicht ernst, zumal sich der CDU-Jugendverband sofort von dem Schreiben distanziert und Strafanzeigen gegen Unbekannt erstattet hat. Die Vermutung, es handle sich um eine politisch motivierte Gewalttat, bezeichnet Polizeisprecher Bode trotz der eindeutigen Schmierereien auf den Trümmern gegenüber der JF lediglich als "Spekulation". Auch zu den Erfolgsaussichten der Fahndung wollte er sich nicht äußern.

Der Gewaltakt markiert das Ende einer jahrelangen Auseinandersetzung um den Stein. Das vom Kameradschaftsverband wegen der guten Beziehung zwischen Soldaten und Einwohnern während einer Einquartierung im Winter 1939/40 im Jahre 1971 mit Unterstützung und Segen der örtlichen Honoratioren in Marienfels errichtete Gefallenendenkmal war im Zuge des Wandels des Zeitgeistes von den "Dorfoffiziellen" zuletzt mit offener Ablehnung bedacht worden (JF 39/03). Hatte der Gemeinderat das Mahnmal zu Beginn noch einstimmig befürwortet, "weil man den Toten der Gewalt und des Krieges die gleiche Achtung zollen" müsse, war der Mehrheit der Ratsherren bei Ablauf des dreißigjährigen Pachtvertrages im Jahr 2001 die Erinnerung an die 20.000 im Feld gebliebenen jungen Männer herzlich egal - Hauptsache, sie findet nicht mehr auf ihrer Gemarkung statt, da das Denkmal, so SPD-Ortsbürgermeister Axel Harlos, immer mehr "junge Rechtsextreme" angezogen habe.

Beschmiert, geschändet, demontiert, zerstört

Nach einem erbitterten Streit, in dessen Verlauf Bürgermeister Harlos die hilflosen Veteranen - juristisch in einer Matt-Situation - durch einjährige Gesprächsverweigerung zeitweilig seine Macht hatte spüren lassen, war dieser schließlich doch zu einem Kompromiß bereit, wenn auch zuungunsten der Veteranen: Bis 2005 könne das Denkmal noch in Marienfels bleiben - "immerhin viereinhalb Jahre über den ursprünglichen Pachtvertrag hinaus", wie Claus Cordsen, Vorsitzender des Kameradschaftsverbandes, anerkennend betonte. In dieser Zeit hätten sich die alten Soldaten nach einem neuen Standort für ihren Stein umzusehen.

Lang genug allerdings hatte die Gemeinde "mit einer schikanösen Zermürbungstaktik die alten Leute gepiesackt, in der Hoffnung, daß sie entnervt klein beigeben", wie es ein Beobachter, der ungenannt bleiben will, gegenüber der JF formuliert. "Quatsch", kontert Ortsbürgermeister Harlos, "der Vertrag war erloschen, die Veteranen im Verzug, die Maßnahmen waren zwingend." Fakt ist, daß den alten Soldaten untersagt worden war, am Volkstrauertag 2003 am Mahnmal für ihre gefallenen Kameraden eine Feierstunde abzuhalten - möglich war schließlich nur ein kurzes, "stilles" Totengedenken.

Dann erblickte Verbandsgemeindebürgermeister Raimund Friesenhahn nach über dreißig Jahren in den Divisionswappen am Sockel der Anlage plötzlich verfassungsfeindliche Symbole und erzwang deren sofortige Demontage. Zwar klagen die Veteranen vor Gericht dagegen, aber "bis zu einer Entscheidung können Jahre vergehen, und die haben viele von uns nicht mehr", erklärte der 83jährige Cordsen gegenüber der JF. Um dem Denkmal mit den klaffenden Bruchstellen wieder eine würdige Form zu geben, ließ der Verband zwei provisorische Wappenschilde mit Eisernen Kreuzen anfertigen. 36 Stunden vor deren Montage wurde das bislang schon dreimal von Unbekannten geschändete Denkmal nun zerstört.

Ortsbürgermeister Harlos wertet laut der lokalen Rhein-Lahn-Zeitung den Vorfall lediglich als "kontraproduktiv" und kritisierte nur, daß sich die "Täter an fremdem Eigentum vergriffen haben". Gegenüber der JF nennt er den Anschlag allerdings immerhin auch "feige". Verbandsgemeindebürgermeister Friesenhahn - für die JF nicht zu erreichen -, der laut RLZ ein "Jubelgefühl" beim Gedanken an eine baldige ordentliche Entfernung des Denkmals verspürt haben soll, wird mit den lapidaren Worten zitiertet: "Das paßt uns jetzt überhaupt nicht, daß so ein Schei... gemacht wird."

Anders als die Polizei äußert Bürgermeister Harlos allerdings eine Annahme bezüglich der Täter: "vermutlich Antifaschisten". "Also genau die Leute", so Claus Cordsen gegenüber der JF, "die im letzten Herbst zusammen mit Harlos, Vertretern der etablierten Parteien, Kirchen und Gewerkschaften gegen das Denkmal demonstriert haben." (JF 49/03) Im November 2003 war Marienfels überregional in die Schlagzeilen geraten, als 250 Demonstranten aus dem "rechtsextremen Spektrum" für den Erhalt des Denkmals demonstrierten, was 500 Personen einer bürgerlichen "Allianz der Vernunft" unter der Beteiligung von -nach Polizeischätzungen - 50 bis 70 gewaltbereiten Personen aus der linken Szene mit einer Demonstration für die Beseitigung des Steines beantworteten.

Als Reaktion auf dessen Zerstörung wird nun für den kommenden Samstag erneut aus Kreisen des sogenannten "Nationalen Widerstandes" zu einer Protestdemonstration in Marienfels aufgerufen. Und auch die Gegendemonstranten haben sich wieder angekündigt. Bereits im November war auf den Netzforen des "Nationalen Widerstandes" gedroht worden, Marienfels in Zukunft jährlich mit Protestdemonstrationen heimzusuchen, sollte der Stein tatsächlich abgerissen werden. Wenn man mit dieser Drohung jetzt ernst macht - zumal die "Antifa" entsprechend reagieren dürfte -, hätte Harlos unfreiwillig genau das für seine Gemeinde heraufbeschworen, was er auf Kosten der Veteranen eigentlich verhindern wollte. Mit Genugtuung erfüllt das Claus Cordsen allerdings nicht: "Das letzte, was ich mir wünsche, ist, daß die Bürger von Marienfels die Zeche zahlen müssen."

Fotos: Zerstörtes und geschändetes Gefallenendenkmal in Marienfels: " Ein Einzeltäter wäre dazu nicht in der Lage gewesen" / Gesamtansicht von vorn (oben), von hinten (unten) Das Gefallenendenkmal vor der Zerstörung


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