© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/04 14. Mai 2004

Das vermittelte Geschichtsbild aktueller Schulbücher korrigieren
Will Seelmann-Eggebert wollte mit seinen Büchern der Verdammung einer Generation entgegenwirken / Mittlerweile wurden mehrere tausend Exemplare nachgefragt
Paul Pfannkuchen

Herr Seelmann-Eggebert, wie kamen Sie darauf, Ihre Erlebnisse aufzuschreiben?

Seelmann-Eggebert: Im Urlaub ist mir der Lesestoff ausgegangen, und ich hatte schon oft darüber nachgedacht, daß es für meine Kinder und Enkel bestimmt interessant wäre, die Erlebnisse ihres Opas nachzulesen. Ich mußte mich aber von nichts befreien oder dergleichen. Ich habe mir einen Block und Bleistift zurechtgelegt und angefan­gen zu schreiben.

Ursprünglich war das Buch nur für Kinder und Enkel gedacht?

Seelmann-Eggebert: Ursprünglich eigentlich schon. Ich hatte überhaupt nicht damit gerech­net, solch eine Zustimmung zu erhalten. Als dann Kriegs- und Gefangenschaftskameraden von meiner Idee erfuhren und das Buch auch lesen wollten, nahmen die Dinge ihren Lauf.

Wie haben Ihre Familienmitglieder reagiert? Gab es auch Desinteresse?

Seelmann-Eggebert: Je nach Altersgruppe bekam ich natürlich unterschiedliche, aber stets positive Reaktionen. Die Kleinen freuten sich, daß Opa ein Buch geschrieben hat. Die Älteren wollten sogar alles bis ins kleinste Detail erfahren. Ich war sehr überrascht, daß doch ein großes Interesse an der Zeit des Dritten Reiches existiert.

Stammen Ihre detaillierten Erzählungen aus einem Tagebuch?

Seelmann-Eggebert: Nein, alle Erinnerungen, die mir wichtig sind, habe ich im Kopf. Was ich nicht mehr genau wußte, habe ich gar nicht erst geschrieben.

Haben Ihre ehemaligen Kameraden Ihnen Hilfestellung oder Tips gegeben?

Seelmann-Eggebert: Das war eher umgekehrt: Meine Kameraden und Freunde haben sich sehr dafür interessiert und nahmen es als Anregung, selbst ihr Erleben für Kinder und Enkel niederzuschreiben. Andere wiederum sagten mir, daß sie jetzt nichts mehr zu schreiben bräuchten, weil ich schon alles ge­sagt hätte.

Nahmen Ihre Kameraden Ihr Buch als Anreiz, ihre eigene Vergangenheit aufzuschreiben?

Seelmann-Eggebert: Ja, viele Kameraden und Menschen nicht nur meiner Generation rufen oder schreiben mich an und bitten darum, genau zu erzählen, wie es zum Beispiel in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen ist - wie ich es schaffte zu überleben und wo mein Wille zum Durchhalten herkam. Hilfestellung und Tips für das eigene Buch würde ich allerdings gerne geben.

Was passiert, wenn die letzten Zeitzeugen gestorben sind?

Seelmann-Eggebert: Ich hoffe, daß die letzten Zeitzeugen vieles schriftlich hinterlassen wer­den, damit die nächsten Generationen sich ein genaueres Geschichtsbild machen können, als es aktuelle Schulbücher wiedergeben. Vieles, was vielleicht heute noch uninteressant er­scheint, kann in Zukunft zu Spekulationen führen, die sich nie wieder richtigstellen lassen. Daher sollten noch viele ihre Geschichten schreiben, damit dies nicht geschieht.

Sehen Sie die Vergangenheit von der deutschen Geschichtsschreibung nicht richtig wiedergegeben?

Seelmann-Eggebert: Es wird alles viel zu einseitig dargestellt; da wird eine ganze Generation verantwortlich gemacht für etwas, was durch die kurze Herrschaft der Nationalsozialisten zerstört wurde. Ich finde, man sollte Zeitzeugen viel mehr in den Geschichtsunterricht an Schulen ein­binden und nicht nur aus Schulbüchern lehren.

Wie haben Sie Ihr Buch produziert?

Seelmann-Eggebert: Mein Buch ist bei keinem Verlag entstanden, sondern bei einer Druckerei. Ich habe das Manuskript mit der Maschine ins reine geschrieben, danach habe ich es in ein Schreibbüro gegeben, dort wurde es auf Diskette übernommen, und mit den meinerseits beigefügten Fotografien entstand mein Buch.

Wie viele Exemplare erschienen bisher?

Seelmann-Eggebert: Ich habe jetzt das zweite Buch herausgegeben und insgesamt etwa 3.000 Stück verkauft. Das läuft aber zum Selbstkostenpreis.

Wie reagieren denn Ihre Leser auf das Geschriebene?

Seelmann-Eggebert: Ich habe kistenweise Briefe erhalten und telefoniere immer noch täglich mit Menschen, die mich bestätigen, zum Weiterschreiben anspornen oder um Rat fragen.

Wenden sich nur Menschen aus Ihren Jahrgängen an Sie?

Seelmann-Eggebert: Nein, nicht nur. Viele bestellen die Bücher zur Weitergabe an ihre Nachkommen; einer sagte mir auch, nun habe seine viel jüngere Frau ihm endlich geglaubt, was er ihr immer verständlich machen wollte. Außerdem wurde ich bereits von meinem früheren Gymnasium, von Studenten und Offizieranwärtern zu Vorträgen eingeladen. Das Interesse, etwas von Zeitzeugen zu erfahren, ist wohl stär­ker vorhanden, als es aus staubigen Büchern nachzulesen, in denen das deutsche Volk häufig nur als NS-Anhängerschaft und Verbrecher beschrieben wird.

Was für einen Eindruck hat die jüngere Generation von Ihren Schilderungen?

Seelmann-Eggebert: Die heutige Generation geht sehr viel unbefangener an unsere Ge­schichte heran. Sie nehmen einem die Erzählungen ab und sagen mir auch, daß das so gar nicht zu dem paßt, was in der Schule gelehrt wird. Sie kennen jedoch auch die Geschich­ten ihrer eigenen Großeltern und wissen, daß das keine Generation von Verbrechern gewesen ist. Viele haben sich ihre ei­gene Meinung gebildet und wägen das ab, was allgemein in der Öffentlichkeit erzählt wird.

Warum gehen viele Medien immer noch so befangen an das Thema 1933-1945 heran?

Seelmann-Eggebert: Ein Wort, das dieses Phänomenen erklärt, heißt "political correctness". Es ist in den letzten Jahren ein bißchen besser geworden. Vielen meiner Generation jedoch hat die Anti-Wehrmachts­au­stellung einen Anlaß gegeben, sich zu diesen Themen zu äußern. Sie waren sehr verärgert darüber, wie falsch, verzerrt und einseitig diese Zeit dargestellt wurde. Manches erklärt sich aus der Umerziehung der 68er-Generation.

Spüren Sie denn eine Art Genugtuung, durch Ihre Bücher Aufklärungsarbeit zu leisten?

Seelmann-Eggebert: Ich habe meine Äußerungen von vielen Menschen - auch Prominenten - bestätigt bekommen, das ist mir sehr wichtig. Als ich an meiner alten Schule in Berlin-Dahlem einen Vor­trag über meine Jugendzeit dort, über meine Jahre im Krieg und in sowjetischer Gefangenschaft gehalten habe, kam in der Diskussion immer wieder die Frage nach dem Holocaust. Als ich erwiderte, von ihm hätte ich erst nach der Heimkehr 1955 überhaupt erfahren, sah ich nur ungläubige, fassungslose Gesichter vor mir. Das hat mir keine Ruhe gelassen, und darum habe ich noch das zweite Buch geschrieben, um klarzustellen, was wir wußten beziehungsweise nicht wußten, wie wir dachten, woran wir glaubten. Ich wollte aufzeigen, wie unsere Jugendzeit wirklich war!

 

Will Seelmann-Eggebert: Einer vom Jahrgang 23. Jugend - Soldat im Krieg - Zehneinhalb Jahre sowjetische Gefangenschaft (1943-1955). Selbstverlag, Ahlhorn 1997 (1. Auflage), 144 Seiten, Abbildungen, broschiert, 10 Euro

Will Seelmann-Eggebert: Weder Narren noch Täter - der Schock kam erst später. Eine glückliche Jugend in bewegter Zeit. Selbstverlag, Ahlhorn 2001 (1. Auflage), 172 Seiten, Abbildungen, broschiert, 10 Euro

Die Bücher sind nicht im Buchhandel erhältlich, können aber beim Autor unter der Telefonnummer 0 4435/ 2462 bestellt werden.

Foto: Will Seelmann-Eggebert, 81: Ungläubige, fassungslose Gesichter

 

weitere Interview-Partner der JF


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen