© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/04 28. Mai 2004

Eine Jugendbewegung wird gleichgeschaltet
Die ursprünglich pluralistische Freie Deutsche Jugend (FDJ), die sich Pfingsten 1946 konstituierte, wurde bald darauf zur Kampfreserve der SED umgeformt
Manfred Müller

Wir sind die Träger des neuen Deutschland." Dieses Transparent prangte Pfingsten 1946 an der Stirnwand der Stadthalle von Brandenburg an der Havel, wo das erste Parlament der Freien Deutschen Jugend (FDJ) tagte. Am 7. März 1946 war diesem Jugendverband die Zulassung durch die sowjetische Militäradministration erteilt worden. Achthundert Delegierte wollten nun an den Pfingsttagen über die Zielvorstellungen der neuen überparteilichen Jugendorganisation, die auch für kirchlich orientierte Jugendliche offen sein sollte, beraten und beschließen. An der Spitze des provisorischen Zentralrats der FDJ stand Erich Honecker, der während des Dritten Reiches als kommunistischer Funktionär zehn Jahre inhaftiert gewesen war. Die Sowjets hatten ihn 1945 aus dem Zuchthaus Brandenburg befreit, daher wünschte sich Honecker als Tagungsort die noch stark kriegszerstörte Stadt an der Havel.

Unter dem Motto "Vorwärts in eine helle Zukunft!" hatte man die Pfingsttage für dieses Treffen gewählt, um an eine Tradition der deutschen Jugendbewegung anzuknüpfen, deren Bünde und Gliederungen sich gerne am frühlingsfrohen Pfingstfeste zu Zeltlagern und Tagungen trafen. Das Parlament der FDJ wurde am Pfingstsamstag eröffnet. Am Pfingstsonntag, dem 9. Juni 1946, läuteten morgens die Glocken der evangelischen St. Gotthard-Kirche und der Kapelle des katholischen St. Marien-Krankenhauses zum Gottesdienst für die christlichen Kongreßteilnehmer. Beide Gottesdienste gehörten zum offiziellen Tagungsprogramm. Die christlichen Delegierten beteten hier um die "Gnadengaben des Heiligen Geistes für die deutsche Jugend", die eine bessere Zukunft für das darniederliegende Vaterland gestalten wollte.

Die Kommunisten zeigten sich betont kirchenfreundlich

Die Kommunisten zeigten sich an diesen Tagen betont kirchenfreundlich und tolerant gegenüber anderen politisch-ideologischen Überzeugungen. Sie stellten das nationale Motiv und humanistische, demokratische und soziale Vorstellungen in den Vordergrund, die vom Parlament als "Grundsätze und Ziele der Freien Deutschen Jugend" verabschiedet werden sollten. Darin hieß es unter anderem: "Wir wollen: Die Erhaltung der Einheit Deutschlands, die Gewinnung der deutschen Jugend für die großen Ziele der Freiheit, des Humanismus einer kämpferischen Demokratie, des Völkerfriedens und der Völkerfreundschaft. Deutscher Junge, deutsches Mädel, wenn Du in Deinem Herzen den Drang fühlst, an der Gestaltung einer frohen, freien, glücklichen und friedlichen Zukunft unseres Volkes mitzuwirken, reihe Dich ein in den großen ewigen Freundschaftsbund der Freien Deutschen Jugend!"

Dieser Jugendverband sollte allen 14- bis 25jährigen Jugendlichen offenstehen, ausgeschlossen waren nur ehemalige HJ-Funktionäre (später eingegrenzt auf besoldete HJ-Führer). Unverkennbar war, daß der Idealismus der jungen Generation angesprochen werden sollte. Aber nur wer wußte, daß die Kommunisten bestimmte Schlagworte inhaltlich ganz anders füllen als ihre nichtkommunistischen Zeitgenossen, konnte ahnen, daß hier durch Täuschung auf eine allmähliche kommunistische Indoktrination hingearbeitet werden sollte. Zu diesem Zweck wurden gleich die Führungsverhältnisse eindeutig geklärt: Der in Brandenburg gewählte Zentralrat der FDJ setzte sich aus 47 Mitgliedern der SED, acht CDU-Mitgliedern, drei Liberaldemokraten, zwei Vertretern der Kirchen und zwei Parteilosen zusammen.

Die beiden christlichen Kirchen hofften, sich durch Mitarbeit in der FDJ Einflußmöglichkeiten zu schaffen. Der evangelische Bischof Otto Dibelius ließ ein Grußwort verlesen: "Zum Pfingstsonntag grüße ich das erste Parlament der FDJ und wünsche ihm ertragreiche Arbeit zum Wohle unserer durch die hinter uns liegende Notzeit so schwer geschlagenen Jugend." Der katholische Diözesan-Jugendführer Hans-Georg Marohl aus Berlin überbrachte die Grüße von Prälat Ludwig Wolker (der für den Wiederaufbau der katholischen Jugendarbeit in Deutschland zuständig war) und betonte: "Eins ist uns allen gemeinsam: die Sorge um unser deutsches Volk. In der Zusammenarbeit für bestimmte, gemeinsame Aufgaben sehen wir das Mittel zur Verständigung untereinander bei der Aufarbeitung in einer neuen Jugend, die nicht mehr zersplittert ist, die nicht mehr in die Fehler einer Zeit wie der von vor 1933 zurückfällt."

Selbst im Westen hatte die FDJ anfangs starken Zulauf

Fast wäre es zum Eklat, zum Auszug der christlich orientierten Delegierten, gekommen. Durch Zufall hörte ein katholischer Delegierter ein Gespräch zwischen zwei ranghohen Kommunisten mit. Robert Bialek, FDJ-Landesleiter Sachsen, sagte zu dem etwas begriffsstutzigen Hans Gerats, Landesleiter Sachsen-Anhalt: "Ihr seid ja dumm, wir müssen die Kirchen erst an uns ziehen, um so leichter können wir ihnen dann den Schnorchel umdrehen." Erich Honecker, Hermann Axen und andere prominente Kommunisten hatten große Mühe, durch Bagatellisieren, Beschwichtigen und biedermännische Bekundungen das Vertrauen wiederherzustellen.

Immerhin stimmten die Delegierten aller weltanschaulich-politischen Richtungen bei der Abstimmung überein, als sie die "Grundrechte der jungen Generation" proklamierten: Recht auf politische Mitwirkung, Recht auf Arbeit und Erholung, Recht auf Bildung, Recht auf Freude und Frohsinn. In der praktischen Arbeit der FDJ wurde in den Aufbaujahren das "frohe Jugendleben" nicht nur proklamiert, sondern auch praktiziert, indem man auf die vielfältigen Möglichkeiten zurückgriff, die in der deutschen Jugendbewegung entwickelt worden waren (Wandern, Singen, Musizieren, Spiel und Sport, lebendig gestaltete Heimabende). Wo dies im Vordergrund stand, konnte die FDJ - in Westdeutschland auch in Konkurrenz zu anderen Jugendorganisationen - mit starkem Zulauf rechnen. In der Sowjetischen Besatzungszone zählte die FDJ Ende 1946 bereits über 413.000 Mitglieder. Doch schon bald verlor sie den ursprünglichen pluralistischen Ansatz, wurde in penetranter Weise parteipolitisch ausgerichtet und entwickelte sich im Kalten Krieg immer mehr zu einer Kampfreserve der SED. So wurden die hoffnungsvollen Proklamationen von Pfingsten 1946 weithin zur Makulatur.


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