© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/04 04. Juni 2004

Erinnerung
Wenn Denkmale verfallen
Dieter Stein

Es sind kleine Nachrichten, die die Lage Deutschlands charakterisieren. Überregional nicht wahrgenommen, meldeten lediglich sächsische Medien folgendes: Nach einem Bericht der Leipziger Volkszeitung wird der Freistaat Sachsen ab 2006 aus der "Stiftung Völkerschlachtdenkmal" aussteigen und keine Gelder mehr für die Rekonstruktion bereitstellen. Dann müßte die Stadt Leipzig die Sanierung zum größten Teil finanzieren. Dies sei jedoch angesichts knapper Kassen nicht gesichert. Bisher wurden knapp 8 Millionen Euro in die Sanierung investiert. Insgesamt soll die Sanierung des Denkmals 30 Millionen Euro kosten.

Wenn man die wichtigsten Höhe- und Wendepunkte der deutschen, ja sogar der europäischen Geschichte nennen und ins Gedächtnis rufen will, spielt die Abwehrschlacht bei Leipzig 1813 in den Befreiungskriegen gegen Napoleon eine bedeutende Rolle. Zwischen dem 16. und 19. Oktober 1813 stehen Napoleons Streitmacht vor den Toren Leipzigs die verbündeten Armeen Rußlands, Preußens, Österreichs und Schwedens gegenüber. Eine halbe Million Soldaten kämpfen um das Schicksal ihrer Nationen. Napoleon muß der Übermacht seiner Gegner schließlich weichen. Rund 110.000 Männer lassen in dieser Schlacht ihr Leben.

Das hundert Jahre danach eingeweihte monumentale Völkerschlachtdenkmal ist neben dem Brandenburger Tor, der Neuen Wache, dem Kyffhäuserehrenmal, dem Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald eines der nationalen Denkmäler von Rang in Deutschland, an denen sich unsere geschichtliche Identität kristallisiert.

Man könnte erwarten, daß Deutschland als eine der reichsten Industrienationen keine Schwierigkeiten hat, seine nationalen Erinnerungsstätten instand zu halten. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Es gibt kein öffentliches Interesse mehr an einer Erinnerungskultur, die positive Daten der deutschen Geschichte wachhält. Erinnerungsarbeit verengt sich, millionenschwer gefördert, immer stärker auf die dunklen zwölf Jahre des Nationalsozialismus.

Der Rest muß, privatisiert, in Eigeninitiative instand gehalten werden. Oder die Denkmäler verfallen und werden abgeräumt. So kümmert sich auch im Falle des Völkerschlachtdenkmals ein 1998 gegründeter Förderverein Völkerschlachtdenkmal um die Erhaltung dieser Sehenswürdigkeit.

Es ist beschämend und für die Krise Deutschlands kennzeichnend, daß sich der Staat aus der Erhaltung nationaler Kulturgüter immer weiter zurückzieht. Es ist aber auch die Stunde des Bürgers und der Eigeninitiative. (Siehe auch Seite 14).

Foto: Völkerschlachtdenkmal


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