© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/04 11. Juni 2004

Kolumne
Gesicht zeigen!
Klaus Motschmann

Eine gängige, wegen ihrer Mehrdeutigkeit allerdings nicht eingängige Parole der sogenannten anständigen Deutschen in ihrem "Kampf gegen Rechts" lautet bekanntlich "Gesicht zeigen"! Gegen diese Parole ist zunächst nichts einzuwenden. Im Gegenteil!

Allerdings stellen sich in letzter Zeit zunehmend Fragen: Wessen Gesicht ist gemeint? Wem und vor allem von wem soll "Gesicht" gezeigt werden? In welcher Absicht soll "Gesicht" gezeigt werden? Ist das eigene Gesicht gemeint, um die persönliche Bereitschaft zu einer offenen Auseinandersetzung zu bezeugen? Oder ist das Gesicht eines "Faschisten" gemeint, um ihn zu denunzieren und an den medialen Pranger zu stellen. Die Praxis der Medien gestattet sehr unterschiedlichen Antworten auf diese sehr naheliegenden Fragen. Sie trägt damit wenig zur Klärung, dafür jedoch sehr viel zu weiterer Verwirrung und Verwahrlosung der veröffentlichten Meinung bei.

In zunehmendem Maße erscheinen nämlich auf unseren Bildschirmen und auf den Titelseiten mancher Zeitungen Täter, Opfer, Zeugen oder sonstige Informanten, die nicht bereit sind, "Gesicht" zu zeigen. Sie sind nur bereit, ihre Aussagen in optischer und/oder akustischer Verzerrung von sich zu geben - was in der Regel Verzerrungen des jeweils vorgetragenen Sachverhaltes zur Folge hat. Dies um so mehr, als die Medien unter Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht keine Auskünfte über ihre Informanten erteilen, um den "Schutz ihrer Persönlichkeit" zu gewährleisten. Sollte dies tatsächlich der entscheidende Grund dafür sein, daß in den Medien die Parole "Gesicht zeigen" vielfach mißachtet wird, dann muß ihnen ein sehr fahrlässiger Umgang mit diesem Recht testiert werden. Ein Mensch wird bekanntlich nicht allein über sein Gesicht identifiziert, sondern auch über seine Frisur, Kleidungs- und Schmuckstücke, Tätowierungen, seine häusliche Einrichtung usw., die oft genug ohne weiteres von Kollegen, Freunden, Nachbarn erkannt werden.

Man sollte den Medien deshalb keinen Dilettantismus unterstellen, sondern eine andere Erklärung für ihr Verhalten in dieser Hinsicht in Betracht ziehen. Es resultiert aus dem Bestreben zahlreicher ideologisch gestimmter Mediokraten, die Leitlinien ihres Handelns selber zu bestimmen, sich nicht von außen bestimmen zu lassen und ihr (wahres) Gesicht eben nicht zu zeigen. Diese Absicht erinnert an den Versuch, einen Elefanten unter einem Tischtuch zu verstecken.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin.


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