© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/04 18. Juni 2004

Günter Mentzel
Der letzte Mann
von Ekkehard Schultz

Er war damals einer der jüngsten Teilnehmer des im vergangen Jahr landauf, landab gefeierten, in diesem Jahr beinahe schon wieder vergessenen Volksaufstands vom 17. Juni 1953. Heute ist der Berliner Maurer Günter Mentzel, Jahrgang 1936, der letzte noch Lebende jener Männer vom Block 40 in der damaligen Stalinallee in Ost-Berlin - Keimzelle des Aufstandes -, die bereits am Morgen des 15. Juni 1953 ihre Arbeit niederlegten, um gegen die von der SED-Führung beschlossene massive Normenerhöhung und den damit einhergehenden Einkommensverlust zu protestieren.

Schon zu diesem Zeitpunkt gingen die Forderungen Mentzels und seiner Mitstreiter weit über das rein Ökonomische hinaus: Die Arbeiter, die sich zunächst an die Betriebsleitung und die Gewerkschaft wandten und anschließend ein Papier aufsetzen ließen, welches von der Parteiführung der SED eine unverzügliche Reaktion forderte, schließlich aus Protest die Arbeit niederlegten, handelten geradezu mustergültig nach den Regeln demokratischen Procederes. Dies war die Grundlage für allen weiteren, später formulierten, Forderungen, wie der nach "Freiheit" und "nationaler Einheit".

Nach der brutalen Niederschlagung des Volksaufstandes hatte Mentzel zunächst Glück, während einige seiner Kollegen mit Haft büßten. Doch 1955 erwischte es auch ihn: ein dreiviertel Jahr saß er in verschiedenen Berliner Gefängnisse. Und die Eintragung in seinem Arbeitsbuch (1953: Block 40, Stalinallee) bedeutete ein Kainsmal, welches einem faktischen Beschäftigungsverbot gleichkam. Doch erfüllt ihn dieser Vermerk bis heute mit besonderem Stolz; weist dieser doch eindeutig aus, daß er nicht zu den vielen "Trittbrettfahrern" zählt, die sich später in Westdeutschland mit einer angeblichen Teilnahme am Volksaufstand brüsteten.

Im vergangenen Jahr, zum 50. Jahrestag des 17. Juni, war Mentzel für einige Wochen ein gefragter Mann. Zahlreichen Blättern und Sendeanstalten gab er Interviews oder stand als Zeitzeuge zur Verfügung. Dagegen hielt sich die rot-grüne Bundesregierung mit persönlichen Ehrungen der mutigen Kämpfer "vornehm" zurück. Zum 40. Jahrestag hatte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl den unmittelbar Beteiligten zumindest noch Orden verliehen und damit die Dankbarkeit Deutschlands gegenüber den "17ern" zum Ausdruck gebracht.

Einen zweiten 17. Juni hält Mentzel in Zukunft nicht für ausgeschlossen, solange Unternehmer lieber ausländische Arbeiter unter Verzicht auf jeglichen Anstand beschäftigen, während sich ihre deutschen Kollegen "zu niedrigsten Löhnen verkaufen müssen" oder sogar massenhaft zur Beschäftigungslosigkeit verdammt sind. "Wenn wir im Augenblick nicht so satt wären", so Mentzel, "dann ginge es vielleicht schon morgen los". Deutliche Worte. Vielleicht finden sie ja diesmal mehr Widerhall als anno 1953.


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