© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/04 18. Juni 2004

Was die Schule nicht lehrt
Kino: Luke Greenfields "The girl next door" hat eigentümlichen Charme
Claus-M. Wolfschlag

Musterschüler Matthew Kidman (Emile Hirsch), der sogar Stipendien für Hochbegabte aus Entwicklungsländern organisiert, träumt heimlich von etwas ganz anderem als dem Mathematikunterricht: Mädchen haben es ihm angetan. Doch die fahren lieber in den Jeeps der örtlichen "Alpha-Tiere" durch die Landschaft als mit dem stets adrett frisierten und angegurteten Matthew. So bleiben ihm nur die Bilder eines in der Schublade versteckten Männermagazins, um seiner versteckten Obsession zu frönen.

Kurz vor dem Examen kommt Bewegung in Matthews Leben. In das Nachbarhaus zieht ein ausgesprochen attraktives Mädchen. Danielle (Elisha Cuthbert) bemerkt rasch, daß Matthew sie heimlich beim Ausziehen beobachtet, und geht in die Offensive. Sie weiß, wie sie mit ihrem heimlichen Verehrer zu spielen hat. Sie bringt Matthew dazu, sich nachts als "Mutprobe" vor ihr auf einer öffentlichen Straße auszuziehen oder im Swimming-Pool des Schuldirektors baden zu gehen. Keinen Wunsch kann Matthew ihr abschlagen, denn die Tage mit der fremdartigen, schönen Danielle sind aufregend und ungewöhnlich für ihn. Schließlich bahnt sich gar eine Romanze zwischen den beiden an.

Doch kurze Zeit später zeigt ihm sein Kumpan Eli (Chris Marquette) einen Film aus seiner Pornosammlung, in dem Matthew Danielle als Darstellerin entdecken muß. So kommt es zum Konflikt zwischen dem jungen Paar. Matthew ist hin- und hergerissen zwischen sexueller Aggression und Verständnislosigkeit. Und dann betritt Danielles Produzent Kelly (Timothy Olyphant) die Bühne, ein charmant-verschlagener Hallodri, der nicht gewillt ist, Matthews geschäftsschädigende Allüren hinzunehmen. Er bedroht den Schüler und leert zudem heimlich das von ihm verwaltete Stipendiumskonto. Dieses Geld muß zurückgeholt werden, und so verbündet Matthew sich mit einem Konkurrenten Kellys, dem er ein Geschäft vorschlägt: Mit zwei von dessen weiblichen Modellen gilt es während des Schulballs einen Hardcore-Aufklärungsfilm für den High-School-Betrieb zu drehen ...

Greenfields Streifen kann grob dem Genre der amerikanischen Teeny-Komödie zugeordnet werden. Derartige Filme existieren in Hülle und Fülle, von "L.I.S.A - Der helle Wahnsinn" bis "Road Trip", von der "Eis am Stil"-Reihe bis zu "American Pie". Meist dreht es sich dabei um die Problemchen und skurrilen Begebenheiten von Jugendlichen bei ihrer Suche nach der ersten Liebe oder den ersten sexuellen Erlebnissen.

Dabei werden die immer gleichen Stereotypen bemüht: der schüchterne Streber, den es nach anderem gelüstet, als in den Schulbüchern steht. Die gestreng wirkenden, in Wirklichkeit aber durchaus verständnisvollen Eltern. Die bornierten Lehrer. Die konkurrierenden, gehässigen Schönlinge und "Macker" in der Schulklasse, welche - wie ungerecht - die hübschesten Freundinnen vorweisen können. Und natürlich das ganz besondere, einzigartige Mädchen, für welches der Kampf aufgenommen werden muß.

Greenfields Film hebt sich insofern von der Masse der Produkte ab, als er die Grundstrukturen des Genres auf eine eigentümlich charmante Weise zu erzählen versteht. So werden die jugendlichen Angstvorstellungen des Protagonisten oft in drastischen Projektionen visualisiert. Man sieht, wie er von Polizisten ertappt wird oder wie Danielle mit seinem Vater auf der Wohnzimmercouch kopuliert, doch dies sind nur die Kopfgeburten und Überphantasien des innerlich zerrissenen Jungen.

Ein gewisses Esprit kann dieser Verfilmung also nicht abgesprochen werden. Allenfalls kann man Greenfield vorwerfen, daß er unentschlossen in Inszenierung und Aussage bleibt: Eine Komödie mit dramatischen Momenten, ein Drama mit komödiantischen Einlagen? Eine Klamotte oder ein Liebesfilm? Was wurde hier versucht? Und: Weshalb bemühte das Drehbuch diesen Ausflug in das pornographische Gewerbe überhaupt, ohne sich der Thematik konsequent - sei es humorvoll oder ernsthaft - zu nähern.

Einerseits kommt Matthew nicht klar damit, daß seine Danielle mit diesem Milieu sowie allerlei klischeehaft schmierig gezeichneten Produzenten und Darstellern Umgang hat, andererseits steigt er letztendlich selber in das dann doch unproblematisch gezeichnete Gewerbe. Einerseits wird Danielle als selbstbewußte junge Frau eingeführt, die ihr Geld auf Sexmessen und bei Hardcore-Filmen verdient, andererseits werden ihr in der zweiten Hälfte des Films undurchschaubare, unrealistisch wirkende Skrupel angedichtet, die Matthew urplötzlich bei ihr ausgelöst zu haben scheint.

Der Zuschauer fragt sich also, weshalb das Autorenteam die Story in einem so harmlos geschilderten Porno-Milieu angesiedelt hat. Wieviel komischer und interessanter wäre ein Rollenwechsel geworden, wenn statt eines farblosen Mitschülers der biedere Matthew selber aus finanzieller Verzweiflung zum Porno-Darsteller geworden wäre. Die Läuterung hätte auf unterschiedliche Weise für beide Seiten stattgefunden. Und wieviel romantischer wäre das Ende erschienen, wenn sich Danielle kurzentschlossen als seine Filmpartnerin dargeboten hätte: Liebe, Notgemeinschaft und Monogamie in einem zwar frivolen, aber durchaus furiosen Finale.

Statt dessen verharrt "The Girl next door" trotz vieler charmanter Einlagen unentschlossen und ängstlich vor den eigenen Konsequenzen.

Foto: Danielle (Elisha Cuthbert), Matthew Kidman (Emile Hirsch): Kopfgeburten und Überphantasien


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