© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/04 18. Juni 2004

Frisch gepresst

Demokratie-Sonderweg. Was der Bonner Jurist Josef Schüßlburner in einem 800seitigen Werk über den "Demokratie-Sonderweg Bundesrepublik" vorlegt, nannte man in der 68er-Hochzeit emphatisch "Ideologiekritik". Und der Untertitel "Analyse der Herrschaftsordnung in Deutschland" ist nachgerade von Suhrkampscher Prägnanz (Lindenblatt Media Verlag, Künzell 2004, 798 Seiten, 39,80 Euro). Nur kommt diese "Herrschaftsanalyse" nicht aus linksliberaler Ecke. Schüßlburner, als Autor des einstmals konservativen Theorieorgans Criticón und der nationalrevolutionären Staatsbriefe bekannt, legt hier ein Opus magnum rechter Systemkritik vor. Das Werk enthält zwar Redundanzen, Abschweifungen und Wiederholungen, so daß einige Kürzungen den Text um einiges rezeptionsfreundlicher gestaltet hätten. Doch in seinen Kernkapiteln über die zivilreligiöse "demokratieverfremdende" Überhöhung des Grundgesetzes und die Etablierung einer "theokratischen Oberverfassung", in deren Konsequenz die Abschaffung des Verfassungssouveräns "Deutsches Volk" und langfristig auch die Islamisierung Deutschlands liege, arbeitet Schüßlburner überaus scharfsinnig den Widerspruch zwischen Verfassungsrealität und Verfassungsideologie heraus.

Geteilte Sprache. Nur noch gelegentlich kann man beispielsweise in Berlin seinen Aufenthalt "im demokratischen Sektor" daran festmachen, daß die Vermietung von Drei-Raum-Wohnungen angepriesen wird. Denn diese Bezeichnung hat sich im Gegensatz zu Bestarbeiter, Broiler, Dispatcher oder Stehbrettsegler bis heute retten können. Inwieweit sich in vierzig Jahren ein eigenes DDR-Deutsch entwickelte, darauf geht eine vom Münsteraner Germanisten Klaus Siebert herausgegebene Arbeit ein. Die von seinen Seminaristen ausgewerteten Quellen politischer Prägung sind naturgemäß durch die eigenwillige Definition von "demokratisch", "sozialistisch" oder "Arbeit" geprägt. Interessanter sind die vergleichenden Untersuchungen der Lexikographie, wobei der sorgsam vermiedene Ausdruck "Einheit" im Duden-Ost nachträglich schmunzeln läßt. Die Untersuchung ruft aber auch ins Gedächtnis, daß es noch vor 15 Jahren möglich war, Deutsch weitestgehend ohne Amerikanismen zu sprechen (Vor dem Karren der Ideologie. DDR-Deutsch und Deutsch in der DDR. Waxmann Verlag, Münster 2004, 365 Seiten, broschiert, 29,80 Euro).


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