© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/04 25. Juni 2004

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Marktlösungen
Karl Heinzen

Für die ökonomische Zukunft der unterdessen nicht mehr ganz so neuen fünf Bundesländer sieht inzwischen auch der "Wirtschaftsweise" Peter Bofinger Schwarz: "Was den Osten betrifft, bin ich ganz offen gesagt mit meinem Latein ziemlich am Ende." So wenig überraschend dieses im "Handelsblatt" publizierte Eingeständnis in der Sache auch ist, es vermag dennoch zu alarmieren. Der in Würzburg lehrende Ökonom steht nämlich im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung für eine im Detail unberechenbare Minderheitenmeinung, die im Gegensatz zu der seit Jahrzehnten dominierenden Fixierung auf Haushaltskonsolidierung und Entlastung der Unternehmen eine notfalls durch Schulden finanzierte Stärkung der Nachfrageseite für unabdingbar hält, um die Konjunktur zu beleben. Selbst ein verzweifelter Rückgriff auf die längst zur Ideengeschichte zählenden Theoriearsenale des Keynesianismus dürfte also, so ist sein Seufzer zu verstehen, nicht mehr ausreichen, um dem deutschen Mezzogiorno eine Perspektive bieten.

Darf dies aber ein Grund sein, um in ein Lamento über die Marktwirtschaft zu verfallen? Wer nicht gerade meint, mit den Wohlstand-für-alle-Parolen eines Ludwig Erhard das 21. Jahrhundert gestalten zu können, vermag hier nur den Kopf zu schütteln. Der Markt ist das Versprechen, daß die Wirtschaft, so man sie nur frei walten läßt, effiziente Lösungen realisiert. Der Anspruch, daß auch alle davon etwas haben müßten, wird jedoch nicht erhoben.

Es ist wohl zutreffend, daß sich die Hoffnungen, die viele Menschen in den Nachfolge-Bundesländern der einstigen DDR anfänglich hegten, nicht erfüllt haben. Die "blühenden Landschaften", die Altbundeskanzler Helmut Kohl im Überschwang der Gefühle verhieß, sind so nicht Wirklichkeit geworden. Dennoch sollte man das Positive nicht übersehen. Auch in den "neuen Bundesländern" ist die Zahl der Menschen, die in Lohn und Brot sind, immer noch höher als jene der in der offiziellen Statistik als arbeitslos registrierten. Wer im Erwerbsleben marktwirtschaftlichen Zuschnitts scheiterte, mußte nicht hungern, sondern durfte ein Leben auf Sozialhilfeniveau führen, das ihm in manchen Facetten mehr Qualität bot als jenes zu Zeiten der realsozialistischen Scheinvollbeschäftigung. Das "Volk" der DDR ist nicht um sein "Volkseigentum" gebracht worden, man hat dieses bloß nach einer realistischen Bewertung zum einen Teil abgeschrieben und zum anderen Teil in die Hände von Menschen gelegt, die mit ihm profitabler umzugehen verstehen. Nicht zuletzt gilt es zu würdigen, daß die Marktgesellschaft sehr viele Bürger, die früher in den DDR-Staat buchstäblich eingemauert waren, erst so richtig mobil gemacht hat. Die Entvölkerung der Problemgebiete ist daher nicht beklagenswert, sondern ein vernünftiger Ausweg aus der Krise. Vielleicht winkt ihnen ja als deutsch-polnische Sonderwirtschaftszone unter europäischem Dach dereinst eine bessere Zukunft.


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