© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/04 25. Juni 2004

Keine Invasion ins soziale Netz
Sozialpolitik: Das geltende Recht beschränkt die Zuwanderung von EU-Bürgern
Folkmar Koenigs

Wohlfahrtsstaaten sind Magneten, die arme Leute anziehen, welche mehr Leistungen des Staates empfangen, als sie selbst an Steuern und Sozialbeiträgen zahlen", warnte Hans-Werner Sinn, Direktor des Ifo-Instituts, letzten Freitag auf dem Münchner Wirtschaftsgipfel. "Der europäische Wohlfahrtsstaat kann bei freier Zuwanderung und voller sozialer Absicherung nicht aufrechterhalten werden", erklärte der Münchner Wirtschaftswissenschaftler.

Doch die von Sinn schon in der Süddeutschen Zeitung vom 27. Mai (siehe auch JF 24/04 und Frankfurter Rundschau vom 16. Juni) vorausgesagte Invasion von Sozialhilfeempfängern aus den neuen EU-Staaten wird so nicht eintreten. Sinn ist der Ansicht, wenn ein neuer EU-Bürger ausreichend Vermögen nachweise, dürfe dieser sich dann bis zu fünf Jahre in einem EU-Land niederlassen; selbst wenn sein Geld aufgebraucht sei und er Sozialleistungen beanspruche. Danach erhalte der EU-Zuwanderer dauerhaftes Aufenthaltsrecht. Doch Sinns Annahmen sind falsch.

Durch die Ergänzung des EG-Vertrages durch den Vertrag von Amsterdam haben EU-Bürger und ihre Familienangehörigen bereits seit 1999 das Recht, sich im EU-Gebiet vorbehaltlich der im EG-Vertrag und seinen Durchführungsbestimmungen vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.

Sie müssen nur eine Krankenversicherung und ausreichende Existenzmittel nachweisen. Daran ändert die neue EU-Richtlinie 2004/38 nichts. Diese Klausel wird nicht dem Diskriminierungsverbot zum Opfer fallen; denn sie ist eine zulässige sachlich gerechtfertigte Beschränkung.

Wegen der Anforderungen der Ausländerbehörden an den Nachweis ausreichender Existenzmittel läßt sie sich auch nicht leicht umgehen, indem man sich Geld bei Landsleuten oder Einwanderungshelfern borgt. Angesichts der hohen erforderlichen Beträge und der sehr ungewissen Rückzahlung werden diese dazu kaum bereit sein.

Auch das kurzfristige Hin- und Herschieben der nachzuweisenden Existenzmittel zwischen den Einwanderern und Immigrantengruppen ist kein Ausweg. Denn mit diesem Trick können die Einwanderer zwar eine befristete Aufenthaltserlaubnis erschleichen, haben aber wegen der nachgewiesenen Existenzmittel keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Sie wären daher auf Schwarzarbeit angewiesen.

Aufenthaltserlaubnis nur bei ausreichendem Vermögen

Die Ausländerbehörden erteilen eine Aufenthaltserlaubnis nur bei Nachweis ausreichender Existenzmittel für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts durch Nachweis eigenen Vermögens oder Verpflichtungserklärungen Dritter. Präzisiert wird dies durch die neue EU-Richtlinie, wo es heißt: Die Höhe der Mittel ist "entsprechend der persönlichen Situation des Betroffenen und nicht höher als die den eigenen Staatsangehörigen gewährte Sozialhilfe".

Diesen Nachweis können die Sozialhilfeempfänger aus den neuen EU-Mitgliedstaaten nicht führen. Wenn sie wahrheitswidrig behaupten, nur einen zeitlich begrenzten Aufenthalt zu beabsichtigen und für diese Zeit den erforderlichen Nachweis führen, wird die Aufenthaltserlaubnis entsprechend befristet und die betreffende Person danach zur Ausreise aufgefordert. Die Sozialhilfeempfänger aus den neuen EU-Ländern erlangen allenfalls für die Zeit bis zur Entscheidung über ihren Antrag auf Aufenthaltserlaubnis - aber in keinem Falle auf Dauer - einen Anspruch auf Sozialhilfe.

Denn die Gewährung von Sozialhilfe setzt eine gültige Aufenthaltserlaubnis voraus. Diese Erlaubnis können sie mangels Nachweis eigener Existenzmittel von Anfang an nicht erlangen, oder sie verlieren sie nach Ablauf der Frist. Bei vorgetäuschtem Nachweis ausreichender Existenzmittel haben sie gar keinen Anspruch auf Sozialhilfe.

Durch die Osterweiterung der EU ist zwar die Gefahr eines Mißbrauchs des Aufenthaltsrechts der Unionsbürger größer geworden - da hat Sinn recht. Die Zahl dieser Fälle wird sich aber in Grenzen halten. Auf jeden Fall wird es aus den zehn neuen EU-Mitgliedsländern keine Masseninvasion ins soziale Netz Deutschlands geben.

Ein Risiko ist die vorgesehene Gewährung eines Anspruchs auf Asyl auch bei nichtstaatlicher Verfolgung oder aus geschlechtsspezifischen Gründen im geplanten deutschen Zuwanderungsgesetz. In welchem Umfange neue EU-Richtlinien zur Asylharmonisierung die gegenwärtigen Möglichkeiten für Ausländer aus Nicht-EU-Mitgliedstaaten über das geltende Recht hinaus erweitern werden, ist noch ungewiß. Eine Masseninvasion in das soziale Netz nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis ist zumindest legal nicht möglich.

 

Prof. Dr. Folkmar Koenigs lehrte Handels- und Wirtschaftsrecht an der Technischen Universität Berlin. Es befaßte sich auch speziell mit den Entwicklungen des Europarechts.


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