© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/04 25. Juni 2004

Gerupfter Phönix aus der Asche
Parteien: Die Erfolge der PDS bei den jüngsten Wahlen in den neuen Ländern sind nur ein kurzzeitiges Phänomen / Die Klientelpartei wird zunehmend zur Protestpartei
Doris Neujahr

Vor zwei Jahren haben die politischen Beobachter der PDS fast einmütig das baldige Ende prophezeit. Mit derselben Einmütigkeit werden jetzt die Ergebnisse der Europa- und der Landtagswahlen in Thüringen als der Aufstieg des Phönix aus der Asche gewertet. Über sechs Prozent bei der Abstimmung über das Europaparlament, etwa 26 Prozent in Thüringen sind ein unbestreitbarer Erfolg, der durch die Überflügelung der Ost-SPD noch gesteigert wird. Doch was ist seine Botschaft? Ein Blick auf die Detailergebnisse zeigt, daß Pauschalaussagen unmöglich sind. Zudem haben die politischen Voraussetzungen in Deutschland sich seit 2002 derart verändert, daß die neuetablierte PDS eine andere Bedeutung hat als die PDS von vor zwei, vier oder zehn Jahren.

Ein kurzer Rückblick auf den Sommer 2002. Damals stahl Kanzler Schröder der PDS als Bewältiger der mitteldeutschen Jahrhundertflut und als Friedensaktivist gegen den Irak-Krieg die Show und unzählige Wähler. Die Bundestagswahlen gewann er in der Ex-DDR und nahm der PDS dabei so viele Stimmen ab, daß sie unter die Fünf-Prozent-Klausel fiel. Und das war nicht alles: In Mecklenburg-Vorpommern, einer PDS-Hochburg, wo seit 1994 eine rot-rote Koalition glanzlos regierte, verlor die Partei ein Drittel ihrer Stimmen. Bereits im Frühjahr 2002 war in Sachsen-Anhalt der Versuch, das rot-rote Tolerierungsmodell ("Magdeburger Modell") in eine reguläre Koalition zu überführen, an einem grandiosen Wahlsieg von CDU und FDP gescheitert. In Berlin trat Gregor Gysi unter einem Vorwand als Wirtschaftssenator zurück. Er fühlte sich von der politischen Kärrnerarbeit überfordert. Diese Fahnenflucht hat die Solidität des Medienstars dauerhaft beschädigt.

Angestrebte Prozesse zur Verjüngung sind gescheitert

Hinzu kamen - und kommen - strukturelle Schwierigkeiten. Die Zahl der Mitglieder war zwischen 1998 bis 2001 von 94.620 auf 77.845 gesunken. Die aktuelle Zahl liegt bei 63.000. Intern stellt man sich schon auf zwanzig- bis dreißigtausend Mitglieder ein. Schließlich sind drei Viertel älter als 65 Jahre. Die vielbeschworene, kompakte PDS-Basis, das waren 1990 vor allem Rentner und Vorruheständler um die 60: ehemalige Parteiarbeiter, Staatsangestellte, Verwaltungsleute, die alle Zeit der Welt hatten, denen der Rückzug ins Private jedoch zuwenig war. Die jüngeren Parteifunktionäre dagegen, die sich um eine neue Erwerbsexistenz kümmern mußten, waren noch im Herbst 1989 ausgetreten, um bei Immobilienfirmen, Autohäusern und Versicherungen anzuheuern, wo sie wegen ihrer guten Kenntnisse und Kontakte mit Handkuß genommen wurden. Mit fortschreitender Zeit ist die Parteibasis weiter gealtert.

Nur unter Schwierigkeiten konnte die PDS in diesem Jahr ihre Klebe- und Verteilaktionen durchführen. Angela Marquardt, ehemals stellvertretende Vorsitzende und jugendliches Aushängeschild, ist inzwischen aus Frust über die Gerontokraten ausgeschieden. Der angestrebte Verjüngungsprozeß ist gescheitert. In den neunziger Jahren erweckte eine professionelle Medienkampagne bei Jungwählern den Eindruck, es sei "sexy", PDS zu wählen. Von solchen Kampagnen hat man inzwischen Abstand genommen, sie wären zu lächerlich. Im Westen hat die PDS nicht Fuß fassen können. In Nordrhein-Westfalen hatte sie Anfang 2003 noch 1.300 Mitglieder, inzwischen sind es nur noch um die 900, Tendenz fallend. Sie hat gravierende Personalsorgen. Als Nachfolger der blassen Vorsitzenden Gaby Zimmer fand sie keinen anderen als den müde gewordenen Altvorsitzenden Lothar Bisky.

Seit dem Ausscheiden aus dem Bundestag ist die Bundes-PDS so gut wie unsichtbar. Die öffentliche Plattform des Plenums, die parlamentarische Logistik und der Mitarbeiterstab sind weggebrochen. Wann hat man zuletzt aus ihrer Parteizentrale, dem Karl-Liebknecht-Haus in Berlin, eine relevante politische Botschaft vernommen? Ihre Pressekonferenzen finden unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Die Medien interessieren sich höchstens für die Herzanfälle des ehemaligen Kettenrauchers Gregor Gysi. Ergo: Die Probleme, mit denen die Partei im Jahr 2002 zu kämpfen hatte, haben sich seitdem noch vergrößert. Der Nichteinzug ins Europa-Parlament wäre zur finalen Katastrophe geworden, zumindest auf der Ebene der Bundespolitik. Diese ist zwar abgewendet worden, doch der Phönix, der da aus der Asche steigt, ist in Wahrheit ein gerupfter Vogel.

Ein Blick auf die Einzelergebnisse: In Brandenburg hat die PDS über dreißig Prozent der Stimmen erzielt und damit SPD und CDU überrundet. Allerdings lag die Wahlbeteiligung bei unter 27 Prozent, was bedeutet, daß die PDS lediglich acht Prozent der Wahlberechtigten mobilisieren konnte. Und ihre Wählerschaft ist die treueste und disziplinierteste überhaupt! Weiterhin schlug der Überdruß an der großen Koalition in Potsdam durch. Der nominelle Erfolg verdeckt, daß auch die brandenburgische PDS mit dem Rücken an der Wand steht und nur ein Sieg bei den Landtagswahlen und die anschließende Regierungsbeteiligung ihr eine Überlebensperspektive bietet. 14 Jahre Opposition haben sie ausgezehrt, in der Führung und der Mitgliedschaft greift Erschöpfung um sich.

Die PDS etabliert sich im Osten als Hauptkraft gegen die CDU

Ein Grundmuster fällt auf: Die PDS hat nur dort Stimmen gewonnen, wo sie nicht an Landesregierungen beteiligt ist. Das trifft auch auf Thüringen zu, wo sie mit dem aus dem Westen stammenden Gewerkschaftsfunktionär Bodo Ramelow zudem einen fähigen Spitzenkandidaten aufbieten konnte. Die 21 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern sind dagegen eher bescheiden. Zwar überrundete sie die SPD (etwa 16 Prozent), doch die CDU erreichte 42 Prozent, obwohl auch sie weder personell noch konzeptionell eine überzeugende Alternative darstellt.

Noch mehrdeutiger ist die Lage in Berlin, wo die PDS seit 2002 am Senat beteiligt ist. Ihr Wähleranteil ist von 16 auf 14 Prozent zurückgegangen. Man muß einräumen, daß die ganz großen Befürchtungen, die an die PDS-Senatoren geknüpft waren, sich nicht bestätigt haben. Zwar mag die Partei von Stänkereien gegen private und konfessionelle Schulen und vom Multikulti- und Gleichstellungsfirlefanz nicht lassen, doch gibt es positive Überraschungen: Wirtschaftssenator Harald Wolf zum Beispiel, dem diese Zeitung seinerzeit den Charme eines KGB-Offiziers, Abteilung "Verhör von Konterrevolutionären", attestiert hatte, erweist sich als harter Arbeiter und im Kontrast zum gigolohaften Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) als Vorbild für staatstragende Seriosität. Im übrigen vollzieht die PDS einen rabiaten Sozialabbau mit, den die Berliner CDU nie gewagt hätte. Im Ostteil mußte sie deswegen schwere Einbrüche hinnehmen (von 41 auf 33,5 Prozent), im Westteil stagniert sie auf niedrigem Niveau. Nichts ist klar, alles ist Bewegung, Treibsand.

Welche perspektivischen Optionen eröffnen sich daraus? In der Vergangenheit war die PDS mit dem Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten verglichen worden, andere hielten sie für eine Ost-CSU, wieder andere für ein Auffangbecken für Ewiggestrige. Hat sie jetzt den Schritt zur linken, sozialen Protestpartei vollzogen? Von allem hat sie ein wenig. Am wichtigsten ist, daß sie die SPD in den neuen Ländern auf Platz drei verwiesen hat. Damit ist etwas öffentlich geworden, was im Windschatten der Bundespolitik übersehen werden konnte: Die Ost-SPD stellte nie eine eigenständige Größe dar, war nie eine autochthone Partei, ihre Autorität war stets nur eine abgeleitete. Die Gründe können hier nicht näher beleuchtet werden. Nur soviel: Thüringen und Sachsen waren zwar traditionelle Hochburgen der deutschen Sozialdemokratie, aber wer nach 1989 an diese Tradition anknüpfen wollte, mußte schnell erkennen, daß Willy Brandt und Helmut Schmidt, die für DDR-Bürger immer noch nationale Galionsfiguren waren, für die West-SPD längst keine Bedeutung mehr hatten. Eine linke Lehrer- und Funktionärspartei adaptierte ein paar linke Pfarrer, das war alles.

Es ist möglich - nicht sicher -, daß die PDS sich im Osten auf Kosten der SPD dauerhaft als die größere von beiden durchsetzt und damit zum eigentlichen Gegenspieler der CDU wird. Das kann man unangenehm finden, aber wem die PDS heute nicht paßt, hätte 1989 eben die SED verbieten müssen. Der Versuch, die PDS durch die Bezeichnung als "SED-Nachfolgepartei" zu delegitimieren, war erfolglos. Man muß zwischen Wählern, Führung und Propaganda unterscheiden. Die PDS-Wähler sind im Durchschnitt etatistischer, autoritärer, auch nationaler als andere. Das internationalistische Vokabular der Partei ist ein Oberflächenphänomen. Die PDS warb auf Faltblättern für ein Europa, wo "alle", egal "welcher Herkunft und Hautfarbe", dieselben Rechte haben sollen. Das heißt auch soziale Rechte. Es dürfte kaum einen PDS-Wähler geben, der die Konsequenzen einer solchen Politik auf sich nehmen möchte oder auch nur bedacht hat.

Derzeit ist nur links eine Protestpartei möglich

Wähler entscheiden nun mal nicht strategisch, sondern emotional, bestenfalls taktisch. Stellen wir uns einen 55jährigen, vor einem Jahr arbeitslos gewordenen Ingenieur aus der Ex-DDR vor. Eine adäquate Arbeit, soviel hat er nach 200 erfolglosen Bewerbungen begriffen, wird er nicht mehr finden. Ab 2005 droht ihm nach Hartz IV der Verlust der Arbeitslosenhilfe, denn er hat sich vorsorglich für sein Alter einige Ersparnisse zurückgelegt, die er aufbrauchen muß, bevor er wieder anspruchsberechtigt ist. Gewiß, auch der Beruf des Würstchenverkäufers ist ehrenhaft, und den Verlust an Sozialprestiges nähme er sogar hin, weil ihm klar ist, daß der Staat seine Bürger vor Hunger und Obdachlosigkeit zu schützen hat, mit der Absicherung eines bestimmten Lebensstandards jedoch überfordert ist. Doch da kommt Wut hoch. Sein viel jüngerer Nachbar, der nie gespart hat, jetzt von Sozialhilfe lebt und gar nicht daran denkt, sich um Arbeit zu bemühen, zeigt ihm den Stinkefinger. Schlußfolgerung: Der reformierte SPD-Sozialstaat belohnt, wenn es hart auf hart kommt, die Faulen und Verantwortungslosen, das Geld holt er sich bei den Fleißigen. Bei CDU und FDP, so vermutet er, wird diese Schieflage noch schlimmer, und die Grünen fordern synchron mit den Arbeitgebern die Einwanderung ausländischer Fachkräfte. Gemeint sind: billige Fachkräfte. In den Ohren einer arbeitslosen deutschen Fachkraft klingt das zynisch.

Gleichzeitig sieht er, wie die Privilegien und Versorgungsansprüche der Politiker steigen, wie das SED-Bonzentum sich unter demokratischen Vorzeichen reproduziert, potenziert. Einige der Politiker, die sich heute als geborene Demokraten gebärden, hat er aus DDR-Zeiten noch in ganz anderer Erinnerung. Wäre er ein "Wessi", er würde nie wieder zur Wahl gehen, da er aber "Ossi" ist, macht sein Kreuz bei der PDS, die immerhin ihre Vergangenheit nicht gänzlich leugnet und einen Außenseiterstatus hat - wie er selber. Große Überzeugungen stecken nicht dahinter. Sicher, die radikale Kapitalismus-Kritik von Sahra Wagenknecht hat etwas Bestechendes, aber als Wirtschaftsministerin, das weiß er genau, wäre sie ein Katastrophe. Kurzum: Von seiner Stimme für die PDS erwartet er nichts, aber schaden kann sie auch nicht. Sie hat den schönen Nebeneffekt, daß man es "denen" mal gezeigt hat. Es ist eine typische Proteststimme.

Auf den Bund hochgerechnet, ließe sich vom Siegeszug der PDS im Osten auf eine weitere Linksverschiebung schließen. Aber auch das ist nicht zwingend. Die PDS könnte auch - siehe Berlin, siehe Mecklenburg-Vorpommern - mittelfristig die Unmöglichkeit einer linken Protestpartei demonstrieren. Übrig bliebe dann der reine Protest, der sich auf andere Mühlen umleiten ließe. Zur Zeit ist eine andere als eine linke Protestpartei unmöglich. Wenn man ein bißchen machiavellistische Phantasie aufbringt, erkennt man auch in ihr sogar eine Chance.

Der Osten kann der Politik in Deutschland keine direkten politischen Impulse geben, dazu ist er zu schwach. Diese Schwäche wird proportional zur Abwanderung und Überalterung noch zunehmen. Die einzige Einflußmöglichkeit liegt darin, die Trends im Westen zu verstärken und zu radikalisieren. Wenn die SPD im Osten zur Kleinpartei wird, kann sie auch bundesweit nicht mehr reüssieren. Das wiederum verstärkt die Selbstzweifel in den westdeutschen Landesverbänden. Eine weiter geschwächte SPD kann nur noch einen verminderten Gegendruck auf die Union ausüben, was wiederum die unionsinternen Kohäsionskräfte vermindert. Wer weiß, vielleicht wird es dann bald auch im Westen eine ähnliche undogmatische Wählermobilität geben, wie sie im Osten heute schon die Regel ist. Die PDS hätte sich dann auf mancherlei Umwegen als Büchsenöffner und dem Land einen unerwarteten Dienst erwiesen.


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