© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/04 02. Juli 2004

Protest gegen die Berliner Politik
Thüringen: Bei den Kommunalwahlen wurde die CDU stärkste Partei / PDS ist Sammelbecken für Proteststimmen / SPD erneut abgestürzt
Jörg Fischer

Die thüringische Kleinstadt Bad Köstritz liegt am Mittellauf der Weißen Elster, nördlich von Gera. Der größte Sohn der Stadt war der 1585 geborene Komponist Heinrich Schütz. Heute ist der Name des Ortes vor allem durch sein berühmtes "Köstritzer Schwarzbier" deutschlandweit bekannt.

SPD-Genossen befällt seit vergangenem Sonntag hingegen wohl ein kalter Schauer, wenn der Name Bad Köstritz fällt: Die Sozialdemokraten scheiterten hier mit 4,8 Prozent bei der Kommunalwahl an der Fünf-Prozent-Hürde. Sie sind damit nicht mehr im Stadtrat vertreten. 1999 hatten die mit einer Freien Liste verbündeten Genossen noch 12,2 Prozent erreicht. Auch im bekannten Wintersportort Oberhof im Thüringer Wald lag die SPD nun unter fünf Prozent. Auch wenn dies nur Extremwerte sind - zwei Wochen nach den Europa- und Landtagswahlen hat sich manifestiert, daß die damalige SPD-Wahlkatastrophe kein einmaliger "Ausrutscher" war. Bei den Stadtratswahlen in den kreisfreien Städten und bei den Kreistagswahlen kam die Kanzlerpartei gerade einmal auf 15,6 Prozent - vor fünf Jahren waren es noch 24,4 Prozent. Auf Gemeinderatsebene kam die SPD sogar nur noch auf 11,9 Prozent.

Klarer Gewinner wurde die PDS: Insgesamt 24,6 Prozent kreuzten die SED-Nachfolger an - das sind 6,7 Prozentpunkte mehr als beim letzten Mal. Die CDU bleibt aber mit 40,9 Prozent stärkste Kraft. Die Christdemokraten von Ministerpräsident Dieter Althaus mußten mit minus 1,5 Prozent - im Gegensatz zur Landtagswahl - nur leichte Verluste hinnehmen.

Zulegen konnten auch die verschieden Wählergemeinschaften, die sich landesweit von 8,4 auf 10,8 Prozent verbesserten. Die FDP (4,7 Prozent) und die Grünen (3,5 Prozent) sind nur in einzelnen Stadträten oder Kreistagen vertreten. Republikaner und NPD traten - trotz der Erfolge in Sachsen - in Thüringen nicht an. Und nur knapp über die Hälfte der Berechtigten ging überhaupt wählen.

Interessant ist ein Blick auf einige Einzelergebnisse. Sie verdeutlichen, daß die PDS-Erfolge immer weniger den unbelehrbaren Altkadern und DDR-Nostalgikern zu verdanken, sondern zunehmend Ausdruck von allgemeinem und speziell sozialem Protest sind. In der wirtschaftlich gebeutelten zweitgrößten Thüringer Stadt Gera wurde die PDS mit 36,8 Prozent (+6,7 Prozent) erstmals stärkste Kraft.

PDS wird in Gera und Suhl stärkste Kraft im Stadtrat

Die CDU fiel mit 28,7 Prozent (-3,8 Prozent) auf Platz zwei zurück. Drittstärkste Kraft ist die Wählervereinigung "Arbeit für Gera" mit 15,8 Prozent (+5,9 Prozent). Die SPD wurde fast halbiert: Die Genossen sackten von 19,8 auf 11,1 Prozent ab. FDP und Grüne scheiterten mit je 3,9 Prozent.

Im wirtschaftlich ebenfalls darbenden Suhl suchte sich der Protest ein anderes Ventil: Die Wählervereinigung "Aktiv für Suhl" wurde aus dem Stand mit 28,8 Prozent zweitstärkste Kraft. Die PDS lag mit 31,8 Prozent (+0,4 Prozent) nur knapp davor. Die CDU stürzte hingegen von 43,6 auf 25,5 Prozent ab. Die SPD rutschte von 22,6 auf 10,6 Prozent und wurde so mehr als halbiert.

Wer nun glaubt, "Aktiv für Suhl" (AfS) sei eine Art CDU-Ableger, der irrt: Der 63jährige AfS-Spitzenmann Landolf Scherzer ist ein ehemaliger SED-Genosse, der zu DDR-Zeiten als Redakteur in der Parteipresse arbeitete. Ab 1975 war er dann freischaffender Schriftsteller - ohne beim SED-Regime anzuecken. Nach der "Wende" 1989/90 entdeckte er aber plötzlich seinen kritischen Geist - heute ist er nicht nur beim Pressefest des Neuen Deutschlands oder PDS-Veranstaltungen ein gerngesehener Gast. Ein besonderes Anliegen ist ihm auch der "Kampf gegen Rechts", den er beispielsweise mit Vorträgen zum Thema "Nationalismus heute" unterstützt. Der redegewandte Vorsitzende des Verbandes Deutscher Schriftsteller in Thüringen hat nun sogar gute Chancen, 2006 Oberbürgermeister von Suhl zu werden.

Sind die wirtschaftlichen Verhältnisse besser, dann sind auch meist die CDU-Ergebnisse höher. In der Universitäts- und Landeshauptstadt Erfurt bleibt die CDU so mit 39,4 Prozent (-6,8 Prozent) stärkste Kraft. Die PDS kommt aber immerhin auf 32,3 Prozent (+8 Prozent). In der "Opel-Stadt" Eisenach bleibt die CDU mit 35,2 Prozent (-10,1 Prozent) stärkste Kraft, zwei Wählervereinigungen kommen zusammen auf 13,8 Prozent. Die PDS wird aber auch hier mit 23,4 Prozent (+5,6 Prozent) vor der SPD mit 15,5 Prozent zweitstärkste Kraft.

CDU/SPD/FDP-Koalition in Jena verliert Mehrheit

Besonders turbulent wird es künftig wohl im Stadtrat der Carl-Zeiss- und Universitätsstadt Jena zugehen. Dort erhielt die regierende CDU/SPD/FDP-Koalition keine Mehrheit mehr: Die CDU kommt mit 22,9 Prozent (-1,8 Prozent) auf zehn Mandate, die SPD mit 19 Prozent (-4,1 Prozent) auf 9 Sitze, und die FDP von Oberbürgermeister Peter Röhlinger stürzt von 13,4 auf 9,1 Prozent (4 Sitze) ab. Das sind zusammen 23 - genauso viele Mandate hat nun die bisherige Opposition: Die PDS wurde mit 24,2 Prozent (+2,8 Prozent/11 Sitze) stärkste Kraft, die "Bürger für Jena" kommen auf 12,5 Prozent (+2,9 Prozent/6 Sitze) und die Grünen auf 12,2 Prozent (+4,3 Prozent/6 Sitze). Angesichts des Patts plädierte SPD-Finanzdezernent Frank Jauch in der Thüringischen Landeszeitung dafür, "viele Gespräche zu führen". Es sei nun an der Zeit, daß die PDS als Wahlsieger endlich ihre Gestaltungskraft beweise. "Nur so wird sie zu entzaubern sein", meinte der SPD-Politiker - mit Blick auf Berlin, wo die Regierungsbeteiligung der PDS an der Landesregierung den dunkelroten Genossen keine Sympathien einbrachte.

Der traditionell katholische Kreis Eichsfeld bescherte der CDU mit 67,1 Prozent (+2,2 Prozent) erneut ein "CSU"-Ergebnis. Lediglich die PDS war hier mit 13,2 Prozent noch zweistellig. In den meisten Kreistagen liegt die CDU ansonsten um die 40 Prozent.

Bundespolitisch hat diese Kommunalwahl eigentlich keine Auswirkung. Nur die SPD will angesichts der vernichtenden Wahlniederlagen am 30. Oktober auf einem Sonderparteitag ihre Landesspitze neu bestimmen. Landeschef Christoph Matschie will wieder kandidieren und sieht trotz des Debakels kaum eigene Fehler.

Er schiebt die Verantwortung voll nach Berlin ab: "Die Reformpolitik, die die Bundesregierung in den letzten beiden Jahren vorangetrieben hat," habe bisher keine Zustimmung bei den Wählern gefunden. "Sehr viele Leute haben das Gefühl, daß die Reformen nur die Kleinen belasten und die Großen sich weiter die Taschen vollstopfen", klagte Matschie letzten Montag im Deutschlandfunk. "Wir müssen aber dafür sorgen, daß diese Veränderungen möglichst gerecht ausgestaltet sind, und wir müssen über zusätzliche Maßnahmen jetzt nachdenken", verlangte der Thüringer SPD-Chef.

Angesichts von Stundenlöhnen um drei Euro in Thüringen forderte Matschie "gesetzliche Mindestlöhne", die "ein unteres Niveau definieren, unter dem keine Löhne gezahlt werden dürfen". Daß er aber bis vor kurzem als SPD-Bundestagsabgeordneter alle rot-grünen Gesetze mit beschloß und als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung Teil der von ihm kritisierten Bundesregierung war, scheint der 42jährige Theologe verdrängt zu haben.

Foto: Wahllokal in Thüringen: Nur 50,6 Prozent wollten die neuen Stadtrats- und Kreistagsmitglieder wählen


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen