© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/04 09. Juli 2004

Kolumne
Neue Chance
Klaus Hornung

Ich liebe dieses Land" und "Gott segne unser Land!" Schon diese Sätze in der Ansprache Horst Köhlers nach seiner Wahl zum neuen Bundespräsidenten am 23. Mai ließen aufhorchen. Nun hat er in seiner Rede zum Amtsantritt am 1. Juli diesen Ton fortgesetzt.

Der Kontrast zum Wort des ersten sozialdemokratischen Bundespräsidenten Heinemann, er "liebe nur seine Frau", ist deutlich, mit dem dieser seinerzeit den Startschuß zur sozialliberalen Ära im Zeichen der individuellen "Selbstverwirklichung" gab, deren Folgen wir heute, 30 Jahre später, ausbaden müssen.

Die Achtundsechziger hatten gemeint, das dumme nationalsozialistische Motto "Du bist nichts, dein Volk ist alles" durch das exakte Gegenteil "bewältigen" zu können - mit dem Ergebnis, daß die Deutschen in ihrer Mehrheit eine vielfach egomane Gesellschaft entwickelten, die den Gemeinsinn abtötete. Heute müssen nun nicht nur die, die damals "Seine Majestät das Individuum" anbeteten, sondern wir alle die Suppe auslöffeln, die sie uns eingebrockt haben. Die Überheblichkeit, mit der man damals einen "neuen" Menschen und eine "neue" Gesellschaft proklamierte, ist an der Wirklichkeit gescheitert und in Depression umgeschlagen.

Der neue Bundespräsident könnte nun die Wende symbolisieren. Er ist wirklich "kleiner Leute Kind" und ein "selfmade man", der trotz seines Aufstiegs in Führungspositionen nicht die innere Balance verloren hat. Seine Sprache ist schnörkellos und wird von den Menschen verstanden. Das hängt auch damit zusammen, daß er nicht ein Exponent unseres Parteienstaates ist und deshalb nicht in die Marketing-Sprache ausweicht, die unsere Politiker so lieben. Als Kind "volksdeutscher" Eltern aus Bessarabien hat er die Geschichte des 20. Jahrhunderts mit Umsiedelung, Vertreibungen und Flucht hautnah erfahren mit dem Ergebnis, daß er um den engen Zusammenhang von Herkunft und Zukunft, geschichtlichem Bewußtsein und Zukunftsvertrauen gewissermaßen "von der Pike auf" weiß. Er nimmt alles das ernst, was die Deutschen in ihrer Mehrheit im Unernst ihrer "Spaßgesellschaft" in den letzten Jahrzehnten beiseite schieben zu können meinten.

Wieder einmal könnte sich zeigen, daß die Geschichte nach vorn immer offen ist, könnte doch der neue Bundespräsident mithelfen, das einzuleiten und zu begleiten, was die Deutschen jetzt besonders dringend brauchen, einen neuen Anfang aus den Wurzeln des christlichen Humanismus in der deutschen und europäischen Geschichte.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaften an der Universität Stuttgart-Hohenheim.


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