© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/04 09. Juli 2004

Sanfter Terror gegen Müller-Milch
Umweltschutz: Greenpeace befürchtet durch Gen-Saatgut neue Landschaften, in denen nichts mehr natürlich wächst
Angelika Willig

Die Umweltorganisation Greenpeace ist als gemeinnützig anerkannt, wodurch Spenden steuerlich absetzbar sind. Die Gemeinnützigkeit deckt auch Aktionen der radikalen Umweltschützer, die hart am Rande der Legalität sind. Dadurch machte sich Greenpeace von Anfang an einen besonderen Namen. Inzwischen aber dämmert es vielen, daß "Umweltschutz" kein für alle Zeiten sakrosanktes Anliegen ist.

Seit April diesen Jahres ist in Deutschland der Anbau und Verkauf von gentechnisch veränderten Lebensmitteln erlaubt. Zum Beispiel bezieht die Firma Müller für ihre erfolgreichen Joghurts und Quarks massenhaft Milch, die von Kühen stammt, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert wurden. Die Müller-Produkte unterliegen aber nicht der Kennzeichnungspflicht für alle Gen-Produkte, weil nicht die Milch selbst manipuliert ist. Bei genauester Untersuchung unterscheidet sich diese Milch nicht von der herkömmlichen.

Das bestreitet Greenpeace auch gar nicht, wenn sie rechtswidrig auf Müller-Produkte den Aufkleber "Genfood" kleben. Die Gefahr liegt Greenpeace zufolge nicht im Verzehr der Milch, sondern in der Ausbreitung gentechnisch veränderter Organismen in der Landwirtschaft. Die Felder mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO) können nicht zuverlässig abgedichtet werden, und so "infizieren" die Genpflanzen ihre natürlichen Verwandten und "kontaminieren" deren Erbgut.

Der Alptraum von Greenpeace sind Landschaften, in denen nichts mehr natürlich wächst. Allerdings sind ohnehin nur die ausgewiesenen Naturschutzgebiete, wo Landwirtschaft generell verboten ist, einigermaßen naturbelassen. Denn auch die konventionelle Züchtung hat Nutzpflanzen und -tiere bis zur Unkenntlichkeit verändert.

Wäre das nicht geschehen, so könnte nur ein Bruchteil der fast sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten überleben. Die Erfindung des Kunstdüngers brachte das Bevölkerungswachstum im 19. Jahrhundert richtig in Gang. Bevor man sich überhaupt Gedanken über dessen mögliche Gefahren machen konnte, gab es schon so viele Münder zu füttern, daß an einen Verzicht nicht mehr zu denken war. Auch ohne die aggressiven chemischen Schädlingsbekämpfungsmittel könnten Lebensmittel bei weitem nicht so billig angeboten werden, wie dies heute der Fall ist.

Erforschung und Anwendung der Gentechnik unmöglich

Die Reduzierung der Lebensmittelkosten bringt aber eine deutlich höhere Lebensqualität für Normalverdiener mit sich, weil sie nun nicht mehr bloß "arbeiten, um zu essen", wie ihre Vorfahren das taten. Die Vermeidung der chemischen Giftspritzen auf den Feldern ist ein wichtiges Anliegen der grünen Gentechnik. Nutzpflanzen werden mit zusätzlichen Genen ausgestattet, die sie resistent gegenüber den schlimmsten Schädlingen machen.

Greenpeace geht auf die Felder, kennzeichnet dort nach eigenem Gusto die Genpflanzen und bringt Anhänger dazu, die Äcker zu verwüsten, Blüten abzuschneiden oder eigenmächtig Ökoweizen auszusäen. Dadurch macht sich die Organisation immer wieder strafbar. Christoph Then, Gentechnik-Experte bei Greenpeace, sagt dazu: "Mir ist kein einziger Acker bekannt, der direkt von uns öffentlich gemacht wurde und deswegen zerstört wurde. Der Standort des geplanten Weizenfeldes in Sachsen-Anhalt war allgemein bekannt."

Daß gerade die Firma Müller-Milch zur ersten Zielscheibe der grünen Fundamentalisten gegen den Gen-Anbau wird, paßt symbolhaft in die Protestlogik hinein. Müller macht nicht nur Riesengewinne und läßt Dieter Bohlen für sich werben. Nein, Bohlen gründet im Namen der Firma eine eigene Partei: die "Müller-Partei". Ihr Wahlspruch: "Alles wird becher." Der fängt nun an, sich zu bewahrheiten. Wenn es in Deutschland besser werden soll, müssen wir unsere Sehnsucht nach Puddingschalen und Sahnetöpfen mit garantiert naturreinen Produkten endlich begraben.

Fortschrittlich ist, wer möglichst seine gesamte Nahrung in drei Bechern unterbringt, die sich ähnlich wie das Handy überallhin mitnehmen lassen. Und was im Becher drin ist, wird gegessen. Früher haben die Menschen, beim Gebet um den Abendbrottisch versammelt, auch nicht lange gefragt, ob mit der Rotkohl-DNA etwas nicht stimmt. Dazu waren sie viel zu hungrig.

Die beiden Fortschrittsapostel Maxeiner und Miersch (jeden Mittwoch in der Welt zu lesen) sehen die Sache genau umgekehrt wie Greenpeace: Das neue Gentechnikgesetz schützt vordergründig den konventionellen Anbau gegen molekularbiologische Konkurrenz. In Wirklichkeit aber, so Maxeiner und Miersch, werde damit "die Erforschung und Anwendung der Gentechnik in Deutschland unmöglich gemacht". Wenn es so wäre, dann ist Greenpeace keineswegs gemeinnützig und schon gar nicht wachstumsfördernd, was so ungefähr das gleiche ist, sondern geradezu fatal für unsere Zukunft.

Noch kann man sich das schwer vorstellen. Wir gehen nicht unter, nur weil die nächste Milchkreation von Müller ein paar Cent mehr kostet. Was uns wirklich bewegt, sind der Benzinpreis und die Kosten des Zahnersatzes. Doch schon forscht der genial-verrückte Craig Venter an einem künstlichen Bakterium, das unbegrenzt Energie produzieren soll. Und mit einer kleinen Armee von professionellen Zahnreinigern wären viele Parodontose-Behandlungen einzusparen. Nach dem alten Sprichwort "Wat der Bauer nit kennt, frett er nit", lehnt der Deutsche so etwas wie Gentomaten strikt ab. Schließlich gibt es die Ökoläden. Doch wenn die unversiegbare Energiequellen oder die lebende Zahnbürste da ist, dann wird auch der Deutsche profitieren wollen - und zahlt, was er zahlen muß.


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