© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/04 09. Juli 2004

Zeitschriftenkritik: Espero
Auf dem Boden der Realitäten
Werner Olles

Espero, das im 11. Jahrgang vierteljährlich erscheinende "Forum für libertäre Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung" (Herausgeber: Mackay-Gesellschaft Berlin/Hamburg), befaßt sich in seiner jüngsten Ausgabe unter anderem mit den aktuellen Themen "Sozialabbau", "Generationen-Gerechtigkeit?", den Forderungen der "individualistischen Anarchisten", dem "Elend der Sozialdemokratie" und "Alternativen für eine bessere Zukunft".

Nachdem Uwe Timm im Editorial "Ex-RAF Anwalt Schily in Person des Innenministers" - völlig zu Unrecht - beschuldigt, mit der Verabschiedung der "Zuwanderungsgesetze" aus Angst vor Machtverlust und moslemischen Kritikern an westlichen Grundwerten jede Form ebendieser Grundwerte mißachtet zu haben, kommt er in seinem Beitrag "Sozialabbau" jedoch schnell wieder auf den Boden der Realitäten. Seinen Überlegungen zum "gesetzlichen Regelwerk der Sozialkassen" kann man sich kaum verschließen, wenngleich es eher fraglich ist, ob die Mehrheit der "Zwangsversicherten" in Deutschland wirklich eine Alternative befürwortet, wonach sie selbst über Art und Umfang eines Versicherungsschutzes bestimmen. Andererseits überzeugt sein Gegenbeispiel des ADAC, der mehr Mitglieder hat als Parteien und Gewerkschaften zusammen und als Solidargemeinschaft bis heute funktioniert. Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang auch sein Hinweis, daß im Zuge eines radikalen Sparkurses im Berufsfortbildungswerk des DGB mit äußerst rüden Methoden Mitarbeiter entlassen werden, während Gewerkschaftsfunktionäre genau diese Methoden lautstark bekämpfen, solange nicht die eigenen Betriebe davon betroffen sind.

Hans Jürgen Degen, Chefredakteur der anarchistischen Zeitschrift Schwarzer Faden, beschreibt im ersten Teil seines Textes "Vom Elend der Sozialdemokratie" den "Deformationsprozeß von einer einst proletarisch-revolutionären Partei (ihr eigenes Selbstverständnis) zu einer bürgerlichen Partei". Daß dies nichts mit "Verrätereien" zu tun habe, stellte Rudolf Rocker, der große Theoretiker des Anarcho-Syndikalismus, bereits 1919 in seiner "Prinzipienerklärung des Syndikalismus" fest: "Bei diesem seltsamen Entwicklungsprozeß handelt es sich weniger um einen bewußten Verrat ..., als um ein langsames Hineinwachsen in die gesellschaftlichen Entwicklungsgänge und die Ideologien des Bürgertums". Die auf der Politik August Bebels und nicht zuletzt Ferdinand Lassalles basierende Staatsfixiertheit der Sozialdemokratie wurde so schließlich zum absoluten Gewinn der "bürgerlichen Gesellschaft". Oswald Spengler konnte sogar eine Affinität zwischen den disziplinierten proletarischen Marschkolonnen und seinem "preußischen Sozialismus" feststellen. Mit dem Wegfall jeglicher "revolutionärer Attitüden" und der "wachsenden Reputation der Sozialdemokraten als Bürger" habe sich die Partei zusehends dem Zeitgeist angepaßt und ihm gleichzeitig auch ihren Stempel aufgedrückt.

Anschrift: Uwe Timm. Wulmstorfer Moor 34 b, 21629 Neu-Wulmstorf. Der Einzelpreis beträgt 3 Euro, das Abo für fünf Ausgaben kostet 12 Euro.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen