© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/04 16. Juli 2004

PRO&CONTRA
Europäisches Zentralregister für Vorstrafen einführen?
Wilfried Albishausen / Hans G. Zeger

Stellen Sie sich vor, ein zehnfach wegen Raubes und
Vergewaltigung vorbestrafter Mann verläßt die Bundesrepublik, um in Frankreich zu wohnen. Sobald er seinen Wohnsitz in Frankreich genommen hat, beginnt er strafrechtlich ein neues Leben. Wird er erneut straffällig, ist es nur über langwierige Rechtshilfeersuchen möglich, sein kriminelles Vorleben in anderen europäischen Staaten transparent zu machen. Der Fall Fourniret in Belgien hat dies deutlich gezeigt. Mit der Öffnung der Binnengrenzen haben wir nicht nur die Freizügigkeit der europäischen Bürgerinnen und Bürger wünschenswert erweitert, wir haben auch Verbrechern im wahrsten Sinne des Wortes "Tür und Tor geöffnet". Dies gilt es mit einem europäischen Vorstrafenregister zu begrenzen.

Jedes Gericht in der Europäischen Union muß auf Knopfdruck wissen, wer vor den Schranken des Gerichts steht. Nur so können bei mobilen Serientätern richtige Urteile gesprochen werden. Es ist ein Prinzip des Rechtsstaats, insbesondere das gerichtlich sanktionierte "Vorleben" eines Straftäters in einem Urteil zu berücksichtigen. Nur so kann der Ersttäter milde, der Serientäter entsprechend harte Sanktionsmaßnahmen erfahren. Eine zentrale Datei dieser Art beschränke die persönliche Freiheit unserer Bürger, heißt es, auch sei die Wirksamkeit nicht bewiesen. Es ist auffällig und beängstigend zugleich, daß von liberalen Politikern zunehmend die Bedrohung der Freiheit durch wirksame Strategien zur Kriminalitätsbekämpfung höher eingeschätzt wird, als die Bedrohung der Freiheit durch Verbrechen und Terrorismus. Was muß noch geschehen, bis die sich ständig fachlich zu Wort meldenden Gesundbeter unserer Gesellschaft vom Gegenteil überzeugt sind? Wie viele Opfer muß es geben, bis sich die Rechtsstaaten der EU als wehrhafte Demokratien beweisen. Gezielte Verbrechen lassen sich nur durch eine wirksame Prävention und Repression im internationalen Zusammenwirken verhindern.

 

Wilfried Albishausen ist stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter.

 

 

Grundsätzlich bin ich der Ansicht, daß eine europäische Datenerfassung im Rahmen eines rechtsstaatlichen Konzeptes erfolgen sollte und nicht ad hoc aus irgendwelchen - wenn auch noch so tragischen - Anlässen entstehen sollte. Das Problem von Datenbeständen sowohl auf nationaler Ebene, aber noch viel stärker auf internationaler Ebene, ist der unterschiedliche Kontext, in dem Informationen stehen, zusammengetragen und gesammelt werden. Sie würden von allen Polizeidienststellen abgerufen werden und könnten so sehr leicht zu Fehl- oder Mißinterpretationen führen. Das kann falsche Reaktionen zur Folge haben. Zum Beispiel bedeutet in Österreich die Aussage man sei "polizeilich vorgemerkt" etwas ganz anderes als in Italien. Bei uns wird jeder polizeilich vorgemerkt, der eine Anzeige abgibt, in anderen Ländern ist dann nur polizeilich vorgemerkt, wer einer Straftat überführt wurde.

Bevor man an die Einführung von europaweiten polizeilichen Registern denken kann, muß man eine Harmonisierung der Rechtsprechung und der Aufzeichnung herbeiführen. Dann kann natürlich darüber diskutiert werden, ob bei einem Straftatbestand, der in der gesamten EU gleichartigen Sanktionen unterliegt, dieser auch zentral erfaßt wird. Dazu wird jedoch ein gemeinsamer Rechtsrahmen benötigt. Die Behauptung, daß in einem Land verurteilte Kinderschänder woanders ungestört leben und arbeiten können, ist völlig unglaubwürdig. Wenn jemand verurteilt wurde, kann die Polizei schon heute im Rahmen ihrer Kooperation (zum Beispiel über Europol) Informationen zu einer Person austauschen. Ist eine Tat jedoch verjährt und aus bestimmten Dateien getilgt worden, hat für den Verurteilten auch das Recht zu gelten, dann ein neues Leben beginnen zu dürfen.

Wir dürfen uns nicht von einzelnen, auch noch so abartigen Entwicklungen leiten lassen, sondern müssen ein rechtsstaatliches Konzept im Auge behalten.

 

Dr. Hans G. Zeger ist Bundesobmann der "ARGE DATEN e. V.", der Österreichischen Gesellschaft für Datenschutz.


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