© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/04 16. Juli 2004

Wahnwitz des Alltags
Zum Tod Clodwig Poths
Werner Olles

Als 1990 die erste Folge der Bilderserie "Last Exit Sossenheim" erschien, wurde endlich auch der Rest der Welt aufmerksam auf jenen Frankfurter Stadtteil, der nach Kommunalwahlen von der Frankfurter Rundschau regelmäßig als "braune Hochburg Sossenheim" geschmäht wird und in dem "deutsche Sozialhilfeempfänger und ausländische Familien nur manchmal so tun, als würden sie miteinander auskommen" (Oliver Maria Schmitt). Zu verdanken war dies dem Karikaturisten Chlodwig Poth, den es in das eingemeindete Dorf im Nordwesten Frankfurts verschlagen hatte, und der nun dort zwischen Schrebergärten und verkommenen Gassen seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Zeichnen, nachging.

In Sossenheim lagen Poths Motive quasi vor seiner Tür. Ob nun die typischen Jogginganzugträger im Supermarkt um die Ecke, die sich gegenseitig belauernden und beschimpfenden Rentner und türkischen Kampfhundherrchen auf der Straße oder die grausliche Architektur, die deutschen Trabantenstädten unvermeidlich zu eigen sein scheint - Poth hat diesem ganzen bemitleidenswerten Wahnwitz mit seinen Zeichnungen und Sprechblasen Ausdruck verliehen. Mehr noch: er hat ihm ein bleibendes Denkmal gesetzt. Wenn beispielsweise zwei alte Rentner im schönsten Frankfurterisch über den Balkankrieg lästern, hörte sich das so an: "Wie sich die Nato schwer tut mit dene Jugos. Wir habbe des 41 in 14 Taache geschafft. Drei Woche, meinetweche. Aber wir mußte ja aach noch die Grieche packe!"

1930 in Wuppertal geboren, aufgewachsen in Berlin, gründete Poth mit 17 sein erstes Blatt, Der Igel, wechselte dann zum Satiremagazin Der Insulaner und später zur Tarantel. In den Fünfzigern betreute er die Werkszeitung von Dunlop, bis Hans A. Nikel ihn 1962 für sein Pardon engagierte. Hier entstanden die Cartoons "Mein progressiver Alltag", in denen Poth mit den 68ern und ihren neurotischen Befindlichkeiten scharf ins Gericht ging, aber auch die ersten "Haßblätter". Ende der siebziger Jahre gehörte er zu den Gründern von Titanic, dem "endgültigen Satiremagazin", in dem die Neue Frankfurter Schule um Hans Traxler, F. K. Waechter, F. W. Bernstein, Robert Gernhardt und Eckhard Henscheid ihre Wirkungsstätte fand.

In den letzten Jahren machte Chlodwig Poth eine Netzhauterkrankung stark zu schaffen. Dann kam eine weitere schwere Krankheit hinzu, der er am 8. Juli erlag.


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