© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/04 23. Juli / 30. Juli 2004

Kindersegen
Aber dann ist doch Schluß, oder?
Dieter Stein

Deutschland 2004. Noch nie ging es uns unterm Strich wirtschaftlich so gut wie heute. Noch nie wurden aber auch so viele Ehen geschieden und prozentual so wenig Kinder geboren. Da insbesondere unter Akademikern die Zahl derer rapide zunimmt, die bewußt auf Kinder verzichten (laut Statistik sollen schon über 42 Prozent der Akademikerinnen des Jahrganges 1960 kinderlos bleiben), vollzieht sich hier ein dramatischer gesellschaftlicher Wandel. Familiengründung und Kinder werden zum exotischen Sonderfall. "Ach, Sie haben Kinder? Das ist ja hochinteressant!" So und ähnlich spiegelt sich der Zeitgeist in einem typischen Dialog dieser Tage.

Nun läßt sich auch bei aufgeklärten Paaren ein Einzelkind als Ausrutscher dennoch nicht immer vermeiden. Besser: Man gönnt oder leistet sich eben doch noch ein Kind. Aber dann, bitteschön, ist dann selbstverständlich Schluß! Man will ja schließlich noch "das Leben genießen".

Vor rund fünf Jahren besuchte mich ein gleichaltriger Bekannter in Berlin. Er erzählte mir, seine Freundin, mit der er schon ein paar Jahre zusammen war, sei schwanger geworden. "Und?" fragte ich. Ja, was er denn jetzt machen solle. Wie, was sie jetzt machen sollten, fragte ich. "Naja, wir hatten ja noch so viel vor, wir genießen doch gerade das Leben in vollen Zügen und wollten noch so viel reisen ..." Der Mann verdiente damals als Marketingleiter in einem Unternehmen der Metallindustrie schon über 100.000 Mark im Jahr.

Der Bekannte hat dann trotz aller Reisepläne ordnungsgemäß doch noch geheiratet und die beiden haben ihr Kind bekommen. Ein toller Junge. Neulich war er erst wieder zu Besuch. Ich konnte mir nicht verkneifen zu fragen: "Und, wollt Ihr nicht noch ein zweites Kind?" Blick und Gestik des Paares ähnelten bei dieser Frage denen eines Aktienhändlers, dem man gerade die Empfehlung gegeben hat, eine Million am Neuen Markt zu versenken. Nein, also mit einem Kind, das reiche doch völlig und man wolle sich doch uneingeschränkt nur diesem Kleinen widmen und die Frau arbeite ja schon wieder als Leiterin einer Berufsschule ...

Wenn Sie selbst aber wagen, ein zweites Kind zu bekommen - wie ich seit zwei Wochen das große Glück habe - erfahren Sie die tollsten Reaktionen: "Ach, aber dann ist doch Schluß?!" flötete auf der Wohnungseinweihungsfeier eines Freundes eine sympathische junge Dame. Andere geben unaufgefordert Verhütungstips oder erklären mit einfühlsamer Stimme: "Aber nach dem Zweiten will ja Ihre Frau irgendwann auch wieder arbeiten, nicht wahr?"

Ich habe zwei bewundernswerte Großtanten, Geburtsjahrgänge 1915/1920. Sie entschieden sich als junge Frauen, Ärzte zu werden, heirateten nicht, blieben kinderlos und widmeten sich ganz ihrem Beruf. Damals war das eine Ausnahme, wahrscheinlich mußten sie sich manchmal dafür rechtfertigen, keine Kinder bekommen zu haben. Heute ist es umgekehrt. Heute müssen sich Paare in Deutschland erklären, wenn sie Kinder bekommen.


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