© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/04 23. Juli / 30. Juli 2004

Kongo nur mit Zwischenlandung
Vereinte Nationen: Außenminister Fischer wirbt für deutschen Sicherheitsratssitz ohne politische Konzeption / Keine Debatte über die "Feindstaatenklausel"
Paul Rosen

Wer im eigenen Lande nicht erfolgreich ist, sucht sein Heil in der Außenpolitik. Diesem alten Grundsatz folgt die rot-grüne Koalition in Berlin. Seit Monaten reist Außenminister Joschka Fischer (Grüne) rund um den Planeten, um bei verschiedenen Regierungen, zuletzt in Peking, für einen ständigen Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu werben. Da schimmert Großmannssucht durch.

Die Vereinten Nationen sind ein Produkt des Zweiten Weltkrieges. Das wird an der Zusammensetzung der ständigen Mitglieder ihres Zentralorgans, des Weltsicherheitsrates, deutlich. Dort sitzen noch heute die fünf Siegermächte des Weltkrieges: USA, Rußland, China, Großbritannien und Frankreich. Die Regierungen dieser Länder haben im Sicherheitsrat ein Vetorecht, mit dem sie ihnen nicht behagende Entschließungen verhindern können. Außerdem gehören dem Sicherheitsrat sogenannte nicht ständige Mitglieder an, die allerdings kein Vetorecht haben. Auch Deutschland gehörte bereits mehrfach dem Sicherheitsrat als nicht ständiges Mitglied an.

Wie sehr der Zweite Weltkrieg die Vereinten Nationen bis heute prägt, wird an ihrer Charta deutlich. Die Artikel 53 und 107 der UN-Charta erlauben es den Siegermächten, gegen die Kriegsverlierer Deutschland und Japan ohne Mandat des Sicherheitsrates vorzugehen, falls sich in diesen Ländern wieder militärische Bestrebungen regen sollten. Mit der Aufnahme der Bundesrepublik und der DDR in die Vereinten Nationen im September 1973 war die tatsächliche Bedeutung dieser "Feindstaatenklauseln" in der UN-Charta stark reduziert. Mit der deutschen Einheit 1990 erlosch die Mitgliedschaft der DDR.

Was blieb, waren die Feindstaatenklauseln. Mit einem diplomatischen Kniff versuchte eine Mehrheit in der UN-Vollversammlung, diese Klauseln ad absurdum zu führen. Da sich eine Revision der Charta nicht durchführen ließ, verabschiedete die 50. Generalversammlung der UN im Jahre 1995 eine Resolution, in der die Feindstaatenklauseln als obsolet bezeichnet wurden. Fischer und seinem Auswärtigen Amt reicht dies als Grundlage für ungehindertes Agieren auf dem internationalen Parkett aus.

Parallel dazu versuchten die verschiedenen Bundesregierungen, ob in Bonn oder in Berlin, durch hohe Zahlungen an die Vereinigten Nationen Ansehen auf internationaler Ebene zu erreichen. Berlin zahlt etwa zehn Prozent des UN-Gesamtbudgets und liegt damit nach den USA und Japan auf Platz drei der Beitragszahler-Hitparade. Außerdem ist die Bundesrepublik inzwischen der größte Truppensteller der UN-Missionen. Gedankt wird dies den Deutschen nicht. Personell haben sie in den UN-Institutionen keinen Einfluß. Der höchste deutsche UN-Repräsentant ist der ehemalige Bauminister Klaus Töpfer, der eine UN-Institution in Nairobi leitet.

Das sind Parallelen zur Europäischen Union, wo die Deutschen ebenfalls personell unterrepräsentiert sind, obwohl sie die höchsten Beiträge nach Brüssel überweisen.

Weder Flugzeugträger noch Lufttransport

Der Grund für die Berliner Bestrebungen, einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat zu bekommen, dürfte in erster Linie in der Innenpolitik zu suchen sein. Je schlechter die Bilanzen der rot-grünen Koalition in den Bereichen Haushalt, Wirtschaft und Arbeit werden, desto besser wäre es für Kanzler Gerhard Schröder und seinen Außenminister, wenn sie sich mit Federn im Bereich Außenpolitik schmücken könnten. Eine Debatte, was Deutschland im Sicherheitsrat soll, wird in Berlin erst gar nicht geführt.

Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates verfolgen ihre nationalen Interessen rund um den Globus. Dies wird besonders bei den USA deutlich. Bestes Beispiel ist der Irakkrieg. Auch Großbritannien und Frankreich haben postkoloniale Interessen rund um den Globus, haben nach wie vor ihre Claims besonders im rohstoffreichen Afrika abgesteckt. China interessiert sich vor allem für den eigenen asiatischen Kontinent. Rußland ist destabilisiert und tritt international kaum in Erscheinung.

Die Bundesrepublik Deutschland ist jedoch kaum als Mittelmacht zu bezeichnen. Besondere nationale Interessen hat sie nie definiert. Berlin käme nicht im Traum auf den Gedanken, etwa wie Frankreich Truppen in Afrika zu stationieren, die schnell in lokale Konflikte eingreifen können, mit dem Ziel, Regierungen rohstoffreicher Länder zu stabilisieren, die mit der nationalen Industrie besonders gut zusammenarbeiten. Die deutsche Entwicklungshilfe wird planlos gestreut, während zum Beispiel Frankreich und Großbritannien mit Hilfen stets Wirtschaftsinteressen verbinden. Die westlichen Alliierten nutzen auch den Sicherheitsrat entsprechend. Berlin war bisher nicht einmal willens, eine Initiative für die vor der Enteignung stehenden deutschen Farmer in Namibia, dem früheren Südwestafrika (bis zum Ersten Weltkrieg deutsche Kolonie) zu starten. Statt dessen werden unter dem Motto, Deutschland müsse am Hindukusch und sonstwo verteidigt werden, Truppen in verschiedensten Ländern stationiert.

Wenn Deutschland ausnahmsweise eine eigenständige Rolle auf dem Weltparkett zu spielen beginnt, kann man ebenfalls darauf wetten, daß innenpolitische Motive dahinterstehen. Schröders Aktionen gegen den Irakkrieg hatten nur ein Ziel: die Bundestagswahl 2002 zu gewinnen. Die Rechnung ging auf, auch wenn das Verhältnis zu den USA seitdem ziemlich zerrüttet ist. Konsequent war Schröder übrigens auch nicht: Der US-Nachschub lief im Wesentlichen über Flugplätze in Deutschland. Wenn die Stimmung in der Bundesrepublik vor zwei Jahren gegen den Irak und seinen Diktator und für die USA gewesen wäre, wäre Schröder vermutlich einer der ersten gewesen, der Washington mindestens seine Luftwaffe angeboten hätte. Wenn die FAZ im letzten Jahr im Zusammenhang mit dem Irakkrieg jubelte, "die Rolle des devoten Blockgetreuen hat Deutschland endgültig abgelegt", wird daraus eine völlige Verkennung der Persönlichkeitsstruktur des Bundeskanzlers deutlich.

Für die Rolle eines Global Player wäre Deutschland im übrigen nicht gerüstet. Da sich seit dem Ende des Kalten Krieges militärische Missionen häufen, müßte eine "angehende Weltmacht" über das notwendige militärische Rüstzeug verfügen. Doch die Bundeswehr kann weder mit Flugzeugträgern noch mit strategischem Lufttransport aufwarten. Mit ihren altmodischen Transall-Transportflugzeugen braucht die Luftwaffe 17 Stunden und zwei Zwischenlandungen, um bis in den Kongo zu kommen. Ein Armutszeugnis.

Und vor einer Aufnahme in den Sicherheitsrat müßte Berlin darauf bestehen, daß die Feindstaatenklauseln gestrichen werden. Der zurückgetretene Heeresinspekteur Gert Gudera sagte völlig zu Recht, daß Deutschland immer noch als Feindstaat geführt werde, "paßt schon lange nicht mehr in die Zeit und in die politische Realität."


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