© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/04 06. August 2004

Höhere Beiträge für Raucher und Übergewichtige
Eine geringfügig gesündere Lebensweise könnte massiv Kosten im Gesundheitswesen senken / Ungesunde Lebensweise sollte im Beitragssystem berücksichtigt werden
Philipp Kalk

Die derzeitige Politikmaxime läßt sich in einem Wort zusammenfassen: Sparen. Dies gilt in besonderem Maße auch für den Gesundheitssektor, der so wie bisher nicht mehr finanzierbar scheint. Was sind jedoch die Ursachen für die Misere in diesem Bereich, abgesehen von den üblichen Verdächtigen wie steigende Arbeitslosigkeit und konsekutiv wegfallende Beitragszahler? Im wesentlichen werden die demographische Entwicklung und der medizinische Fortschritt als Schuldige für die steigenden Gesundheitskosten genannt, da beide Entwicklungen für einen höheren Anteil von Patienten an der Gesamtbevölkerung sowie letzterer für teurere Therapie- und Diagnostikoptionen verantwortlich sind. Gelegentlich wird auch medial auf angeblich gewinnsüchtige Ärzte oder die Pharmaindustrie eingedroschen.

Vergleichsweise zu wenig wird beleuchtet, daß nach heutigem Erkenntnisstand viele Erkrankungen lebensstilbedingt, somit also zumindest partiell selbstverschuldet, erheblich zugenommen haben. So stieg beispielsweise die Prävalenz der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) in den letzten fünfzig Jahren nach Ansicht von Experten etwa auf das Zehnfache. Vom Bluthochdruck waren vor zwanzig Jahren etwa 24 Prozent der untersuchten Deutschen betroffen; heute sind es 55 Prozent, obwohl sich die medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten im selben Zeitraum erheblich verbessert haben. Fettstoffwechselstörungen treten heute etwa doppelt so häufig auf wie in den fünfziger Jahren. Der Anteil der übergewichtigen Menschen hat sich im selben Zeitraum vorsichtigen Schätzungen zufolge etwa verdreifacht. Hierzu der Kardiologe Alfred Wirth im Deutschen Ärzteblatt (DÄ) 24/2004: "Erklären läßt sich dieser enorme Anstieg nicht durch genetische Einflüsse oder Umweltveränderungen, sondern vorwiegend durch eine Änderung des Lebensstils der Bevölkerung."

Da die beschriebenen Erkrankungen-Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Zuckerkrankheit, Fettsucht - im Verein mit dem ebenfalls zunehmenden Rauchen - gleichzeitig Risikofaktoren für eine Reihe von ernsten Folgeerkrankungen wie zum Beispiel Herzinfarkt, Schlaganfall oder Verlust der Nierenfunktion darstellen, kann man sich leicht vorstellen, welch gewaltige Lawine an Leid und natürlich auch an Kosten durch die in den letzten Jahrzehnten erfolgten Ernährungs- und Lebensstiländerungen über die Deutschen hereingebrochen ist.

Immenses Einsparpotential präventiver Medizin

Die notwendige Ergänzung zu teuren und risikobehafteten Therapien einer Vielzahl von Volkskrankheiten liegt also in einer lebensstilbasierten Prävention, im Klartext: gesündere Ernährung, mehr Sport, Gewichtsreduktion, Einstellung des Rauchens, Verminderung des Alkoholkonsums. Daß dieser Ansatz erfolgversprechend ist, konnte mittlerweile durch eine Vielzahl von Daten belegt werden: Bei den Typ II-Diabetikern beispielsweise, welche über neunzig Prozent der Zuckerkranken ausmachen und welche fast ausschließlich übergewichtig sind, sorgt eine Gewichtsabnahme von zehn Kilogramm bei der Hälfte für ein Verschwinden der Erkrankung, beim Rest kann die medikamentöse Therapie deeskaliert werden. Nimmt ein übergewichtiger Hypertoniker (Patient mit Bluthochdruck) etwa zehn Kilogramm ab, so sinkt sein Blutdruck etwa um 10 mmHg, also ähnlich wie durch ein potentes Medikament. "Würden alle übergewichtigen 10 Millionen Hypertoniker in Deutschland zehn Kilogramm abnehmen, hätte ein Drittel keinen Bluthochdruck mehr, und nahezu alle könnten Anzahl und Dosis ihrer Medikation reduzieren", rechnet Wirth vor.

Diese Zahlen deuten das immense Einsparpotential einer präventiv orientierten Medizin an - vom Zuwachs an Lebensqualität und Gesundheit auf seiten der Patienten einmal ganz abgesehen. Dazu müßte jedoch das bisherige Beitragsystem der Krankenkassen, welches sich bisher ausschließlich am Einkommen und nicht am individuellen Risikoprofil des Patienten orientiert, geändert werden, um eine gesunde Lebensführung auch ökonomisch attraktiv zu machen. Konkret könnte das bedeuten, daß die Beitragshöhe an das Vorhandensein der oben angeführten Erkrankungen angepaßt wird: Der dicke Zuckerkranke mit Bluthochdruck zahlt dann eben so lange einen höheren Beitrag als die dünne Sportskanone, bis er in Zusammenarbeit mit seinem Arzt durch Lebensstiländerung und/oder Medikation die genannten Risikofaktoren eliminiert hat.

Ein solches System beendet nicht nur die bisherige Umverteilung von Gesundheitsbewußten zu jenen, welche Selbstmord via Messer und Gabel, Tabak und Bewegungsabstinenz betreiben; es stärkt auch den Willen des Patienten zur bisher häufig eher laxen Therapieadhärenz und führt endlich auch ökonomisch die Verantwortung für ein gesundes Leben zu jedem Einzelnen zurück.


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