© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/04 13. August 2004

Frisch gepresst

Herbert Kremp. Wir schreiben das Jahr 2047, die vier Deutsch-Sektionen auf dem Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik werden von der Zentralen Europäischen Television, der Luxemburger Intendantur, verwaltet, es gibt nur einen Schultyp, "die Grundschule", und zwölf Universitäten - von ehemals über 300 Hochschulen. Die Bevölkerung ist nach Alten-Pogromen erheblich geschrumpft, die Arbeitslosigkeit liegt bei knapp fünfzig Prozent. Das ganze Land ist nach der "Schwarzen Krise von 2029" von einer wirtschaftlichen Krise gebeutelt, überall herrschen Depression und Resignation vor. Hoffnung geht allein von den drei Millionen Turkmenen aus, die seit 2023 in den verlassenen Gebieten Sachsen-Anhalts siedeln und dort einen Reformstaat aufbauen. Dies ist der Hintergrund, vor dem der Historiker, Staatsrechtler und Nationalökonom Herbert Kremp, ehedem Chefredakteur der Welt, seinen 2019 geborenen Protagonisten Björn Salde zurückblicken läßt auf jene Entwicklung, die zu diesen Zuständen geführt hat. Erzählerisch dicht und phantasievoll ausgeschmückt, ist Kremp ein beeindruckendes Stück politischer Fiktion in bester Orwellscher Tradition gelungen. (Herbert Kremp: Memoiren der Zukunft. Deutschland 2050 - ein Rückblick. Books in Demand, Norderstedt 2003, broschiert, 358 Seiten, 19,90 Euro).

Helmut Krausser. Seit Mai 1992 veröffentlicht der Schriftsteller Helmut Krausser jedes Jahr ein Tagebuch, das jeweils einen anderen Monat umfaßt (JF 02/03). Pendelten die ersten Tagebücher noch höchst lesenswert zwischen Werkstattbericht und zumeist treffenden, bisweilen amüsanten, bissigen und unzeitgemäßen Notaten zum Kulturbetrieb und seinen Darstellern, scheint Krausser seit etwa drei, vier Jahren die Lust an seinem Projekt verloren zu haben. Auch der kürzlich erschienene Band zum März 2003 enthält selten mehr als Allgemeinplätze und Belanglosigkeiten. Krausser weiß zwar, daß die interessanteren Stellen in einem Tagebuch jene sind, "in denen die Aura einer Zeit festgehalten wurde, das Unverwechselbare, oft Unscheinbare, das darin wie in einer Kapsel erhalten geblieben ist, und wenn man draufbeißt, sozusagen, wird man mit einem fremdgewordenen früher vertrauten Aroma konfrontiert". Doch er unterläuft seinen eigenen Anspruch, indem er vielfach nur die Oberfläche kratzt (Helmut Krausser: März - Tagebuch des März 2003, Belleville Verlag, München 2003, 140 Seiten, kartoniert, 14 Euro).


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