© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/04 20. August 2004

Die schlechte Kopie
Die Union biedert sich als zahme Alternative an - und gibt konservative Positionen auf
Dieter Stein

Selten hatten die Unionsparteien so hohe Umfragewerte wie in diesem Jahr. Bundesweit scheinen absolute Mehrheiten möglich. Wäre jetzt Bundestagswahl, Schröder und Fischer wären weg vom Fenster, Merkel und Stoiber könnten mit, vielleicht auch ohne FDP komfortabel regieren.

Doch wofür steht die Union eigentlich noch? Wo ist die große gesellschaftspolitische Alternative, die der im Zentrum der erweiterten Europäischen Union unter einem riesigen Reformstau leidenden Nation den Weg aus der Krise weist?

Es ist derzeit leichter, einen Pudding an die Wand zu nageln, als die politische Substanz auf den Punkt zu bringen, für die CDU und CSU grundsätzlich einstehen. In welcher einzigen essentiellen politischen Frage ist die Union bereit, einen offensiven Kampf mit dem politischen Gegner auszufechten - mal von der "Kopfpauschale" abgesehen? Eine solche Frage gibt es nicht mehr. Es geht nur noch um die Macht.

In einem seit 1968 ausgefochtenen politischen Kulturkampf hat sich die Linke in wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen nahezu total gegen die Konservativen durchgesetzt. Noch mehr, die Ideen von 68 haben die Union weitgehend widerstandslos durchdrungen:

Schutz des Lebens: Nachdem Anfang der siebziger Jahre in einem ersten Anlauf die Durchsetzung der Fristenlösung, also totale Freigabe der Abtreibung ungeborener Kinder bis zur zwölften Woche zunächst gescheitert war, wurde der scheinheilige Kompromiß der "Indikationslösung" durchgesetzt. Trotz der Wende unter Helmut Kohl 1982 hat sich daran nichts geändert. Im Gegenteil: Unter Beteiligung liberaler CDU-Politiker (Heiner Geißler und Rita Süssmuth) kam es zur weiteren Aufweichung durch die "Beratungs-Lösung", eine faktische Fristenlösung. Ergebnis: Heute wird schätzungsweise jedes dritte gezeugte Kind im Mutterleib getötet, jährlich bis zu etwa 300.000.

Familienpolitik: Inzwischen gilt auch bei der Union mehr oder weniger dasselbe wie für Rot-Grün - Familie ist da, wo ein Kühlschrank steht. Im Vordergrund steht nicht das Leitbild intakter Ehen und Familien mit mehreren Kindern, sondern die Lobbyinteressen von Minderheiten. Die Spitzenpolitiker von CDU und CSU leben ein gesellschaftliches Leitbild vor, das spaßorientiert ist. Mit Ole von Beust, dem Ersten Bürgermeister von Hamburg, präsentiert die Union sogar voller Stolz einen bekennenden homosexuellen Spitzenpolitiker. Man orakelt über "großstädtische Milieus", in denen die Partei von Angela Merkel und Edmund Stoiber ankommen will, eine Formel, die verschleiern soll, daß man schlicht vor dem Zeitgeist in die Knie gegangen ist.

Homo-Ehe: Kaum hat Rot-Grün die "gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften" eingeführt, gibt die Union auch bei diesem Thema faktisch ihren Widerstand auf. Kein Wort ist davon zu hören, daß CDU und CSU nach einem möglichen Regierungswechsel diese Form der Aushöhlung des Schutzes von Ehe und Familie rückgängig machen werden.

Bevölkerungspolitik: Auf die demographische Katastrophe hat die Union mittlerweile kaum andere Antworten als das linke Lager. Man schämt sich, von aktiver Bevölkerungspolitik zu sprechen, läßt durch die eigene Jugendorganisation lieber Kondome verteilen, anstatt zu Familiengründung und Kindern zu ermutigen.

Geschichtspolitik: In allen wichtigen geschichtspolitischen Debatten verhält sich die Union neutral, weicht nicht wesentlich vom rot-grün bestimmten Mainstream ab, setzt keine eigenen Akzente. In den jüngsten Diskussionen um ein geplantes Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin, zur Erinnerung an die Opfer des Bombenkrieges oder der Opfer des Kommunismus - in allen diesen Fragen herrscht, von Einzelstimmen abgesehen, Sendepause im Konrad-Adenauer-Haus. Eine historische Kommission, eine historische Zeitschrift, die sich mit Geschichtspolitik aus Sicht der Union befaßt, gibt es nicht. Kurz: Man konzentriert sich auf die Tagespolitik. Die Definitionsmacht über geschichtspolitische Fragen überläßt man dem politischen Gegner - auch damit ist das Debakel um die Rede Martin Hohmanns im letzten Jahr zu erklären.

Außenpolitik: Hier ist das einzige Gebiet zu finden, auf dem sich die Union deutlicher von Rot-Grün unterscheidet. Doch auch hier stehen keine substantiellen, auf nationalen Interessen gründenden Vorstellungen im Raum. Es gibt keine ernstzunehmenden außenpolitischen Köpfe mehr in der Union. Leichtgewichte wie Friedbert Pflüger geben den Ton an und beschränken sich auf servilen amerikahörigen Lobbyismus. Nicht einmal in der Frage einer halsbrecherischen Aufnahme der Türkei in die EU ist die Union in der Lage, mit einer Stimme zu sprechen und ein "Nein" zu artikulieren, an das sie sich nach einer Regierungsübernahme gebunden fühlte. Mit einer Regierung Merkel/Stoiber wird es keine Ablehnung des Türkei-Beitrittes geben - egal, wie blumig auch die Aussagen im Wahlkampf klingen mögen.

Es gab seltene Momente, in denen die Union Versuche unternommen hat, gegen die Stimmung in den Medien, gegen den Zeitgeist Themen zu besetzen und auch einen (kurzfristigen) Durchbruch zu erzwingen. Fast immer wurden diese Ansätze von den eigenen Funktionären und der eigenen Führung wieder zunichte gemacht.

So hat der hessische CDU-Chef Roland Koch 1999 seinen Wahlsieg mit einer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gewonnen. Der Versuch, die Kampagne konsequent auf ganz Deutschland auszudehnen, wurde unter dem medialen linken Trommelfeuer fallengelassen - die Unions-Herzen waren schnell wieder in die Hose gerutscht.

Vera Lengsfeld, eine selten kluge CDU-Politikern, hat dies kürzlich richtig erkannt: "Viele aus der CDU kommende Debatten sind bereits von der CDU wieder abgewürgt worden, sei es die Leitkultur-, Doppelstaatsbürgerschafts- oder Patriotismus-Debatte. Sobald das rot-grüne Medienkartell Empörung inszeniert, finden sich Unionspolitiker, die diese Debatte 'unerträglich' nennen. Danach wird mit Zitaten von Unionspolitikern gegen die Union Front gemacht. Wir müssen diesen verhängnisvollen Mechanismus durchbrechen."

Vollends paralysiert war die Union, als Gerhard Schröder im Jahr 2000 den "Aufstand der Anständigen" und den "Kampf gegen Rechts" ausrief. Mit schlotternden Knien reihten sich Spitzenpolitiker von CDU und CSU in eine Kampagne ein, die gegen sie selbst gerichtet war. Gekrönt wurde dieser Trend durch das Einknicken der Unionsspitze im "Fall Hohmann".

Wenn Edmund Stoiber kürzlich über Merkel und Westerwelle sagte, diese "können Schröder und Fischer nicht das Wasser reichen", dann ist da etwas Wahres dran. Doch dies trifft auf die Union insgesamt zu. CDU und CSU in ihrem jetzigen Zustand sind keine Alternative, sondern die gemäßigte schlechte Kopie des rot-grünen Originals.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen