© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/04 27. August 2004

Bitte keine Fragen an den Kanzler
Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen: Die Union liegt in Umfragen weit vor der SPD / Grüne kündigten an, keinen rot-grünen Lagerwahlkampf zu führen
Josef Hämmerling

Nach dem Desaster der Europawahlen im Juni droht der SPD die nächste Schlappe. Am 26. September finden in Nordrhein-Westfalen Kommunalwahlen statt. Die Bürger des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Deutschlands sind aufgerufen, die Mitglieder der 396 Stadt- und Gemeindevertretungen und 31 Kreistage sowie die Mitglieder der Bezirksvertretungen in den 23 kreisfreien Städten zu wählen.

Stimmberechtigt sind rund 14 Millionen Personen, darunter auch 540.000 Ausländer aus Mitgliedsländern der Europäischen Union, die das kommunale Wahlrecht haben, sofern sie mindestens drei Monate in ihrer Gemeinde leben. Die Zahl der Erstwähler beläuft sich auf etwa 900.000 Jugendliche, wobei die Altersgrenze auf 16 Jahre gesenkt wurde.

Von diesem Wählervotum erwarten die Parteien wichtige Aufschlüsse für die nächsten Landtagswahlen, die am 22. Mai 2005 stattfinden. Diesen Landtagswahlen kommt eine besondere Bedeutung zu, da im Falle eines Regierungswechsels von Rot-Grün zu einer schwarz-gelben Landesregierung CDU/CSU und FDP im Bundesrat eine Zweidrittel-Mehrheit hätten und damit alle Gesetze der Bundesregierung zu Fall bringen könnten.

Und im Moment spricht alles dafür, daß sich der Abwärtstrend der Sozialdemokraten Ende September fortsetzen wird. Nach letzten Umfragen sieht die Stimmung an Rhein und Ruhr derzeit wie folgt aus: Die CDU darf danach mit rund 52 Prozent der Stimmen rechnen, während die SPD auf 30 Prozent kommt. Das würde gegenüber den Kommunalwahlen 1999 nochmals einen Einbruch um rund vier Prozentpunkte bedeuten. Bereits damals verloren die Sozialdemokraten fast die Hälfte aller Oberbürgermeisterämter.

Viele Sozialdemokraten verzichten auf das SPD-Logo

Die Grünen dürften mit elf Prozent wieder ein zweistelliges Ergebnis einfahren, während die FDP ein Ergebnis von etwa fünf Prozent erwartet. Sonstige Parteien können mit etwa vier Prozent der Stimmen rechnen.

Die Stimmung für die Sozialdemokraten ist derzeit so schlecht, nicht zuletzt auch wegen Hartz IV, daß die Genossen selbst im sonst für sie sicheren Ruhrgebiet um ihre Hochburgen zittern. Bei den Europawahlen im Juni konnte die SPD in nur fünf von 54 kreisfreien Städten und Kreisen des Reviers die Mehrheit halten. Ein erschütterndes Ergebnis, wenn man bedenkt, daß das Ruhrgebiet früher für die Sozialdemokraten mit 60 Prozent der Wählerstimmen eine "sichere Bank" war und die CDU oftmals auf nur knapp über 20 Prozent kam. Heute liegt die SPD dagegen beispielsweise in Duisburg nur noch bei 35,8 Prozent der Stimmen und kann nirgendwo mehr aus eigener Kraft regieren, sondern ist überall auf Koalitionen angewiesen.

Wie schlecht die Stimmung bei den sozialdemokratischen Kandidaten ist, kann man unter anderem auch daran erkennen, daß viele von ihnen das SPD-Logo von den Wahlkampfplakaten verbannen. So etwa die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann, die auf ihren Plakaten lediglich mit dem von einem Herz umrahmten Wort "Bonn" wirbt. Auch Friedrich Wilhelm Beucher, bis 2002 Leiter des Sportausschusses im Bundestag, verzichtet im oberbergischen Bergneustadt auf das Logo. "Ich muß mich vom Negativtrend der SPD abkoppeln", begründete Beucher seine Entscheidung.

Die schlechte bundesweite Stimmung bei den Genossen und die noch schlechtere wirtschaftliche Lage ist auch einer der Hauptgründe, warum die Kandidaten vor Ort hauptsächlich einen Persönlichkeitswahlkampf versuchen und weniger auf bundespolitische Größen setzen.

Und wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder schon einmal kommt, wie Mitte August zum 71. Geburtstag des Kleingartenvereins Bismarckhain im mit einer Arbeitslosenquote von 17,8 Prozent besonders stark gebeutelten Gelsenkirchen, dann bitten die Genossen ausdrücklich darum, keine politischen Fragen zu stellen.

Anders sieht das dagegen die Düsseldorfer Oberbürgermeisterkandidatin der SPD, Gudrun Hock, die bewußt die Nähe zur Bundespartei sucht. Man müsse sich in Zeiten großer Herausforderungen der Verantwortung stellen, meinte sie. Um so enttäuschender war es dann, daß lediglich 250 Personen kamen, um SPD-Parteichef Franz Müntefering zu hören.

Nur die Jusos kümmern sich um die Erstwähler

Die Grünen wollen sich nicht mit in den Sog der Sozialdemokraten ziehen lassen und halten sich nach allen Seiten offen. Landeschefin Britta Haßelmann betonte sogar ausdrücklich: "Es wird keinen rot-grünen Lagerwahlkampf geben." Vielmehr sei man auch bereit, schwarz-grüne Bündnisse einzugehen, wo dies richtig und notwendig sei, so Haßelmann.

Auffällig ist, daß die Parteien sich nur sehr schwach um die vielen Erstwähler kümmern, die immerhin knapp 6,5 Prozent aller Wähler ausmachen. Lediglich die Jusos bieten im Internet einen umfassenden Kommunalwahlservice an.

Alle anderen Parteien vernachlässigen diese Wählergruppe massiv. Vielleicht auch weil die meisten Experten bei den Erstwählern eine Wahlbeteiligung von unter 40 Prozent erwarten.

Am interessantesten dürfte der Oberbürgermeisterwahlkampf in Düsseldorf werden, wo der Christdemokrat Joachim Erwin seit fünf Jahren im Stil eines Feudalherren regiert. Nach Angaben von Focus droht Erwin nämlich "mindestens ein hohes Bußgeld" wegen Steuerhinterziehung. Dem Nachrichtenmagazin zufolge sollen Joachim Erwin und seine Ehefrau Hille Spekulationserträge aus Anlagen in Luxemburg von über 180.000 Euro nicht versteuert haben. Seit Januar diesen Jahres läuft deswegen bei der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den CDU-Politiker.

Erwin selber streitet alles ab und wirft der "SPD-gesteuerten Staatsanwaltschaft" vor, ihn "in den Schmutz zu ziehen". Er verweist auf den CDU-Abgeordneten Jürgen Pofalla, der drei Tage vor der Landtagswahl 2000 ebenfalls wegen angeblicher Steuerhinterziehung Opfer einer Durchsuchungsaktion der NRW-Justiz wurde. Später stellten sich die Vorwürfe als falsch heraus.

Nordrhein-Westfalens Justizminister Wolfgang Gerhards (SPD) reagierte empört auf Erwins Vorwürfe. Es sei "zutiefst verachtenswert", wenn Erwin mit dem Vorwurf einer politischen Justiz versuche, "eine abstruse Parallele zur NS-Justiz zu ziehen".


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