© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/04 03. September 2004

CD: Rock
Angekommen
Hans-Georg Stieglitz

Für "Adios" (regel23 recordings), das sechzehnte und zugleich letzte Studioalbum der Böhsen Onkelz, haben sich die vier Familienväter noch einmal richtig ins Zeug gelegt. Neben der CD mit den fünfzehn Liedern liegt eine DVD vor, die einen Videoclip, ein Making-of, ein Interview mit der Band - nein, eigentlich ein Interview mit Chef Stephan Weidner und drei Beisitzern - sowie Animationen zu allen Songs bietet. Musikalisch gibt es keine allzu großen Überraschungen. Es wird melodiöser Gitarrenrock geboten, die Onkelz sind nicht allzu originell, die Einflüsse, etwa der Ramones, sind bekannt. Wie immer ist auch mindestens ein echt nerviger Hänger dabei ("Laß mich gehen"). Dafür rockt das Intro-Lied "Feuer" richtig, und die Balladen und balladesken Einschübe gehen unter die Haut. Bei "Ihr hättet es wissen müssen" wird wohl tatsächlich vielen Onkelz-Fans der "Saft in die Tränenkanäle" schießen, wie es im Song heißt.

Damit wären wir beim Text, neudeutsch Lyrics genannt. Für sie ist alleine "der Weidner" verantwortlich, und der war auch verantwortlich für den Entschluß, die Band nächstes Jahr zu liquidieren. Die Texte der Onkelz sind wie gehabt extrem selbst- und rückbezüglich, seit 24 Jahren wird die Band und ihre Geschichte besungen und gefeiert. Wie das Universum am Ende seiner Geschichte, mit was Kleinerem darf man die pathetischen Onkelz auf keinen Fall vergleichen, so zieht sich nun auch die Band in sich selbst zusammen, schrumpft auf ihren Kern.

Der bestand aber immer in der Ausgrenzung seitens der Umwelt, mit dem rapiden Rückgang dieser Ausgrenzung verliert auch die Band ihre Daseinsberechtigung. Die aggressiven Strophen werden zur bloßen Pose. Oder gegen wen sollen sich die Zeilen "Die Revolution braucht neue Lieder / volle Deckung wir sind es wieder / wir sind onklifiziert voll und ganz / wir sind Teil einer Protestallianz" richten? Die Onkelz sind längst Millionarios, sogar offiziell gab Sänger Kevin Russell kürzlich vor Gericht ein Jahreseinkommen von bis zu 150.000 Euro an. Und im Musikfernsehen wird ihr Video nur deswegen nicht gespielt, weil die Onkelz das selbst untersagt haben. Wenn dann noch Campino von den Toten Hosen Verständnis äußert, weiß man, daß die Onkelz Teil des Establishments geworden sind.

Das Liedchen "Hasst-ler" ("Hast nicht viele Freunde / und willst die nicht verlieren / willst die Geschichte wiederholen / willst wieder marschieren") gerät damit zum Schibboleth einer in der neuen Mitte angekommenen Band. Die zahlreichen Schmähsongs aus dem rechten Untergrund über die "Verräter" sind freilich ein Mißverständnis. Das kurze Skinhead-Intermezzo nach anfänglicher Punkzeit war nur eine zwar folgenreiche, aber kurzfristige Unterbrechung auf dem Weg durch die Jugendkulturen, die auf dem letzten Album noch einmal zum Zusammenhalt aufgerufen werden; aber gegen wen eigentlich? "Regiert von Kriminellen, die uns kriminalisieren", diese allgemeine Politikerschelte ist nicht schärfer als das, was man in der Bild-Zeitung lesen kann.

Die Provokation des ausgekoppelten Stücks "Onkelz vs. Jesus" liegt übrigens einzig im Titel, denn die Strophe "Wir sind bekannter als Jesus" ist nicht im Sinne John Lennons zu verstehen, der das Copyright besitzt, und richtet sich nicht, wie die Band ausdrücklich betont, gegen Jesus Christus, sondern stellt eine Persiflage auf die eigenen Anfänge dar, an denen die Bandmitglieder sich unbedarft und ohne Beherrschung ihrer noch schnell getauschten Instrumente schon für die Größten hielten. Die Instrumente spielen sie mittlerweile gut, und so gelingt es auch diesem Album, gute Laune zu verbreiten. Und die Texte sind meistens so vage, daß Platz genug für beliebige Assoziationen bleibt.


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