© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/04 10. September 2004

Kaum beachtetes Unrecht
von Peter Lattas

Das hat sich der Bundeskanzler so leicht vorgestellt: Mit großer Feldherrngeste die Rechtslage unter den Teppich kehren und sich auf Kosten der eigenen Landsleute beim EU-Neu­ling Polen beliebt machen. Rechtsansprüche deutscher Vertriebener? Interessieren die Bundesregierung einfach nicht. Wohl aber die Verwaltung: Denn nicht nur die "Preußische Treuhand" ermuntert Vertriebene und Aussiedler zu Klagen gegen den polnischen Staat auf Herausgabe widerrechtlich eingezogenen Eigentums, sondern auch die Lastenausgleichsämter. Weil spätestens seit dem EU-Beitritt Polens Aussiedler aus dem Machtbereich des früheren Ostblockstaats im Prinzip wieder frei über ihr Eigentum verfügen könnten, müßten sie früher erhaltenen Lastenausgleich zurückzahlen. Den Betroffenen bleibt also nur, gegen die neuen Herren ihrer zurückgelassenen Habe zu klagen.

Die Argumentation steht zwar auf wackeligen Beinen; schließlich handelt es sich beim Lastenausgleich um einen Ausgleich für entgangene Nutzung zeitweise nicht verfügbaren Eigentums und nicht um eine nationale Entschädigungsregelung für endgültige Verluste. Allerdings wird ein bislang kaum beachtetes Unrecht deutlich: die willkürliche Bereicherung des polnischen Staates am Hab und Gut von Angehörigen der deutschen Volksgruppe, die alles hinter sich ließen, um der nationalen und sozialen Diskriminierung in einer kommunistischen Diktatur zu entkommen. Es gibt also noch viel zu tun, ehe Polen ein Rechtsstaat wird, mit der EU-Aufnahme ist es allein nicht getan.


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